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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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seine Ideen. Und jetzt begreife ich erst, dass
er immer ein besserer Mensch gewesen ist als ich.«
    »So ein junges Ding, zum Fressen!
Arm in Arm habe ich sie gesehen, in Nişantaşı, diesem
Nobelviertel. Wenn ich nach Istanbul gehe, lege ich mir auch so eine zu. Ich
muss nur Refık fragen, wie man das anfängt, der kennt sich da aus, der ist
ja aus Nişantaşı.«
    »Jetzt reicht’s aber langsam!«
    »Was passt dir denn nicht? Schau
nur, Salih, auf seinen Freund lässt er nichts kommen! Glaubst du vielleicht,
wir kennen dich nicht, dich und deinen Freund? Was, Salih, wir können uns gut
an die erinnern, von der Uni her. Da war er und Refık und dann noch so ein
Zwerg. Die haben auf alle herabgesehen. Er hier immer in Anzug und Krawatte und
mit der Pfeife im Maul. Und der Zwerg, so ein kränkliches Kerlchen, wie der
einen immer angeschaut hat hinter seiner Brille hervor, der reinste Teufel!
Jaja, im ersten Jahr waren wir damals. Ich kann mich noch gut erinnern an das
neunmalkluge Trio. Haben immer alles verachtet. Am ehesten ging ja noch dieser
Refık. Der hatte so was Naives, aber das habe ich jetzt auch kapiert, das
war reine Unbedarftheit!«
    »Es reicht jetzt, habe ich gesagt!«
schrie Ömer. Er dachte an Refık, der bald kommen würde und so hässliche
Sachen nicht hören sollte.
    »Schau einer an, er lässt wirklich
nichts kommen auf seinen Freund, auf sein unbedarftes
Nişantaşı-Früchtchen. Der Kerl hat sein süßes Frauchen zu Hause
gelassen und ist zu uns gekommen. Und wozu? Zum Weinen! Wegen der armen Kurden,
wegen der armen Hungrigen, wegen der ganzen Misere im Land … Er schreibt was
über irgendwelche Dorfreformen, und dann weint er. Er rennt zu dem
verweichlichten Deutschen hin und weint schon wieder. Mensch, Junge, du bist
Geschäftsmann, und noch dazu in Istanbul, dann bleib gefälligst dort, mach dir
ein schönes Leben und lass deine Frau nicht im Bett allein! Aber nein, lieber
kommt er hierher und heult sich aus!«
    »Halt’s Maul jetzt!« schrie Ömer.
    Enver sah kaum zu Ömer hin und
redete weiter: »Ich sag’s ja, unbedarft bis dorthinaus! Und weißt du, was er
noch macht: Er führt ein Tagebuch. Das liegt immer auf seinem Tisch, und
neulich habe ich mal reingeschaut. Du lachst dich kaputt! Ständig findet er was
zum Heulen! Ach, die viele Armut, ach, das arme Land! Und was er über sein
geliebtes Weibchen schreibt! Da hätte ich mir ja fast in die Hose gemacht vor
lauter Lachen! Perihan heißt das Püppchen. Die ist wohl kaum allein in ihrem
Bett, du weißt ja, wie es zugeht in den Kreisen. Der hat bestimmt zu einem
gesagt, pass auf, ich muss weg, kannst du inzwischen meiner Frau mal …«
    Ömer sprang auf. Während er auf
Enver zuging, schossen ihm Bilder von Schlägereien durch den Kopf. Erst musste man
drohend aufeinander zugehen und sich gegenseitig fixieren. Auch Enver stand
auf. »So betrunken, wie er ist, kann ich ihn vielleicht zu Boden werfen«,
dachte Ömer. »Und Salih wird uns dann auseinanderzerren.« Er hatte sich noch
nie mit jemandem geprügelt und spürte, dass auch Enver nicht darauf aus war.
»Schlägereien sind aber auch zu blöd! Wir werden aufeinander eindreschen und
uns Fußtritte versetzen, und am Ende wird nicht mal klar sein, wer gewonnen
hat. Gläser und Flaschen werden kaputtgehen, und wenn Refık dann erfährt,
dass ich mich wegen ihm …«
    »Ich will mich nicht mal prügeln mit
dir!« rief Enver da und setzte sich wieder hin.
    Darauf packte Ömer seine Flasche und
ging damit hinaus. »Mir schlägt der Alkohol nur auf den Magen!« Er setzte sich
an den Tisch draußen und leerte den Rest Rakı in sein Glas. Dann lauschte
er auf die Nacht. Ganz schwach klang die Trommel noch herüber, und auch die
Geige wimmerte noch. »Es ist vorbei! Was soll ich jetzt machen?« Er dachte an
die bevorstehende Ehe mit Nazli. »Die Tochter eines Abgeordneten! Brauchen wir
also eine anständige Küche!« Aus der Baracke war kein Laut mehr zu hören. »Ich
warte auf Refık. Ich rede mit dem noch ein wenig, und dann fahre ich nach
Ankara. Und heirate die Tochter des Abgeordneten. Was soll sonst geschehen? Wie
soll man leben? Wenn ich an die Reden denke, die ich gegen das gewöhnliche
Leben geschwungen habe! Nun, ich könnte mir auch hier einen Bauernhof kaufen,
den einen etwa, den mir Hacı gezeigt hat. Was kostet der? Und was habe ich
mit all der Arbeit hier verdient? Moment, was war noch mal der
Quadratmeterpreis hier?« Das war eine Zahl, die er im ersten Jahr

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