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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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ja schon!« sagte
Ayşe.
    »Soll ich Ihnen das Frühstück in den
Garten bringen?« fragte Yılmaz mit rotem Kopf.
    »Es ist ja schon spät«, erwiderte
Ayşe und zog auf einmal ihr Nachthemd weiter zu. »Aber was soll’s, bring
mir irgendwas raus! Und sag meiner Mutter, ich komme gleich!« Als der Junge
wieder draußen war, sagte Ayşe: »Also hör mal, man klopft doch zuerst an!«
    »Hat er das nicht?« fragte Perihan
verwundert.
    »Nein! Aber eine lustige Nase hat
er! Und rot wird er auch gleich! Unglaublich, wie er seinem Vater ähnlich
sieht. Ach, das mit Nuri hat mir schon sehr leid getan. Auch dass ich bei der
Beerdigung nicht dabei war. Du weißt ja, mich hat er immer ›Kirschkern‹
genannt, wahrscheinlich weil er mich immer so trocken und hart und missmutig
gesehen hat. Er hat mich wirklich gern gemocht. Und dann versagt ihm einfach
das Herz! Na, wenigstens hat Osman seinen Sohn eingestellt, das war eine gute Idee.
Und nicht einfach als Lagerarbeiter, weil er ungelernt ist, sondern hier bei
uns; schließlich hat uns sein Vater so viele Jahre das Essen gekocht. Der Junge
lernt das schon auch noch.«
    Perihan hörte gar nicht richtig zu,
sondern sah nur auf den Brief in Ayşes Hand. »Steht bestimmt wieder das
gleiche drin! Dass er erst in einem Monat kommt!« dachte sie.
    Da merkte Ayşe, wo Perihan
hinsah. »Ach stimmt, der ist wohl für dich!« Sie sah auf den Umschlag. »Von
meinem Bruder! Und ich schwätze und schwätze hier!« Sie gab Perihan den Brief.
»Und meine Mutter lasse ich auch warten!« Sie wandte sich zur Tür, betrachtete
aber noch die Kleine in ihrem Bettchen, hielt ihr kurz die Rassel vor die Nase
und ging dann fröhlich hinaus.
    Perihan blickte erst auf die Tür und
dann auf den Umschlag in ihrer Hand. Schließlich holte sie aus einer
Kommodenschublade eine Nagelfeile heraus. Sie setzte sie an, verharrte aber
noch ein wenig. Jeden Brief von Refık machte sie in aller Gemächlichkeit
auf und überlegte sich währenddessen, welcher Inhalt ihr am genehmsten wäre.
»Was will ich eigentlich? Dass er schreibt, er kommt sofort! Und dann? Geht er
mit seinem Bruder wieder in die Firma!« Sie dachte an Osman, den Nermin als
»Maschine« bezeichnet hatte, und an Ayşe. Sie erschrak über ihre eigenen
Vorstellungen. »Was für einen Refık will ich denn?« Ihre Gedanken und
Wünsche kamen ihr mit einemmal so unsinnig vor. Sie wischte sie alle fort, riss
den Umschlag auf und las den Brief. Das Übliche: Er würde einen Monat später
kommen. Diesmal ließ er sich aber mehr über sein »Dorfprojekt« aus. Perihan
fragte sich, was genau er damit bezweckte und wie er vor allem jenes Projekt
mit dem Leben seiner Frau zu vereinbaren gedachte, und stirnrunzelnd las sie den
Brief ein zweitesmal.

40
  ANKARA
    Wütend stand Muhtar auf und ging im hohen
Korridor des Ministeriums auf und ab. »Jetzt warten wir bereits eine halbe
Stunde, dabei hatten wir doch einen Termin! Es ist schon dunkel! Was reden die noch
da drinnen?« Er fragte das Refık, als ob der eine Antwort wüsste. Beschämt
wandte er dann die Augen ab. »Dann hätten wir auch ein andermal kommen können!«
Plötzlich ging er entschlossen auf das Vorzimmer zu und machte die Tür auf.
»Hören Sie mal, ich bin Muhtar, der Abgeordnete von Manisa! Sie wissen doch
Bescheid, oder?« Seine Miene verfinsterte sich, als er der Antwort des
Sekretärs lauschte. In etwas übertrieben wirkendem Zorn erwiderte er dann: »Die
mögen von der deutschen Handelsdelegation sein, aber ich bin von der türkischen
Volksdelegation!« Er vollführte eine Geste, als wollte er die Tür zuschlagen,
aber dann machte er sie doch ganz leise zu. Wieder ging er im Korridor auf und
ab. Schließlich setzte er sich neben Refık. »Siehst du, so geht es zu in
Ankara!«
    Sie warteten vor der Tür des
Landwirtschaftsministers. Refık war mit Ömer nach Ankara gekommen und
hatte seine Pläne dem Abgeordneten unterbreitet, der einem Freund seines
Schwiegersohns in spe nicht seine Unterstützung versagen wollte. Er hatte
angekündigt, Refık mit einem Minister und danach sogar mit İsmet
Paşa bekannt zu machen, doch hatte sich noch keine Gelegenheit dazu
ergeben. Die Minister, zu denen der Abgeordnete Zugang hatte, waren zu
beschäftigt und zum Großteil nicht einmal in Ankara. Wegen der schweren
Erkrankung Atatürks war alles in Aufruhr, und jedermann wartete ab, was
geschehen würde. Auch mit dem Buchautor Süleyman Ayçelik, mit dem Refık
von Kemah aus korrespondiert hatte, war

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