Cevdet und seine Soehne
noch kein Treffen zustande gekommen. Nach
seiner Ankunft in Ankara hatte Refık sein Projekt noch einmal
überarbeitet, um dann erfahren zu müssen, dass der Autor gerade seinen
Jahresurlaub angetreten hatte. So hielt sich Refık schon seit zwanzig
Tagen in Ankara auf, ohne noch mit einem einzigen Verantwortlichen gesprochen
zu haben.
»Aber nimm dir das nicht zu Herzen!
Wäre doch gelacht, wenn wir einem wie dir nicht helfen könnten!« Nach kurzer
Besinnung berichtigte er sich: »Wenn wir uns einen wie dich nicht zunutze
machen würden!«
Eine Stunde zuvor hatte der
Abgeordnete Refık in seinem Hotel angerufen und ihn zum Kızılayplatz bestellt. Er
habe im Parlament mit dem Landwirtschaftsminister gesprochen und für fünf Uhr
einen Termin bekommen. Sie waren vom Kızılayplatz
aus zum Ministerium geeilt, dort aber vom Sekretär beschieden worden, der
Minister sei beschäftigt. Da dies nun schon eine halbe Stunde her war, hievte
der Abgeordnete schnaubend seinen Körper hoch, der so gar nichts von der
Leichtigkeit seiner Tochter Nazli hatte, und ging wieder im Korridor hin und
her.
Da ging die Tür auf, und es traten
etliche Männer heraus, von denen Refık einige dank ihrer hellen Haut und
ihres stolzen Auftretens als Deutsche identifizierte. Gefolgt vom Minister und
seinem Dolmetscher, gingen sie den Korridor hinunter. Im Vorbeigehen nickte der
Minister dem Abgeordneten grüßend zu. Als er die Deutschen verabschiedet hatte,
eilte er in sein Büro zurück, und der Sekretär schickte sich an, Muhtar
aufzurufen, doch der hatte bereits Refık am Arm gepackt und zog ihn am
Sekretär vorbei ins Ministerbüro hinein. Refık stammelte noch: »Wie soll
ich ihm bloß alles vermitteln in so kurzer Zeit? Am besten, ich sage ihm den
einen Gedanken, der den Kern meines Projekts darstellt …«
Sie kamen in einen großen, ziemlich vollgestellten
Raum. Der Minister stand am Fenster und zündete sich eine Zigarette an. Er war
Refık aus der Zeitung ein Begriff und machte nicht gerade den Eindruck
eines furchterregenden Menschen auf ihn, dem man mit übertriebenem Respekt zu
begegnen hatte. Er gehörte auch nicht zu den führenden Parteifunktionären, die
von Ministeramt zu Ministeramt wechselten. Er galt als Vertrauter von
Ministerpräsident Celâl Bayar, dem er seinen Posten wohl zu verdanken hatte.
Der Minister wandte sich zu ihnen um
und entschuldigte sich dafür, dass er sie hatte warten lassen. Er deutete zum
Fenster hinaus. »Diese Deutschen! Hinter denen ist momentan ganz Ankara her!
Der Ministerpräsident hat darauf gedrungen, dass wegen ein paar technischer
Details einige Delegationsmitglieder auch mit mir zusammentreffen sollten, und
daher jetzt diese Verzögerung. Vielleicht wird ja ein Handelsabkommen
unterzeichnet, da sollten wir für alle Fälle gerüstet sein. Na ja! Das ist also
der junge Mann, von dem Sie mir berichtet haben?« Er schüttelte Refık die
Hand. »Muhtar hat mir schon einiges über Sie erzählt. Ingenieur sind Sie also?«
»Ja«, hauchte Refık und
konzentrierte sich auf das, was er gleich sagen wollte.
»Wissen Sie eigentlich, wie sehr
unser Land eifrige junge Leute wie Sie braucht, die etwas auf die Beine
stellen?« Mit leidgeprüfter Miene sah der Minister den Abgeordneten an. »Wenn
ich an den Dolmetscher soeben denke! Bis der einen deutschen Satz übersetzt,
vergeht eine halbe Stunde! Diese Peinlichkeit!« An Refık gewandt, sagte
er dann: »Unser Land braucht gutausgebildete junge Menschen!«
»Der Junge ist Bauingenieur!« sagte
Muhtar stolz.
Der Minister setzte sich an seinen
Schreibtisch und begann in einer Akte zu blättern. Mit den Gedanken
offensichtlich woanders, erwiderte er: »Aha, Bauingenieur! Interessant. Ist
also Bauingenieur und wendet sich ans Landwirtschaftsministerium, weil er …
ja, warum eigentlich?« Verwundert blickte er hoch. »Warum?« Bevor aber
Refık noch antworten konnte, nickte der Minister schon verständnisvoll.
»Ach ja, natürlich!«
Refık sagte: »Ich habe da
diverse Prinzipien entwickelt, die mit der Entwicklung der Dörfer zu tun haben
…«
»Selbstverständlich! Und das wollen
Sie jetzt veröffentlichen?«
»Ich will, dass es gelesen und diskutiert wird und
dass es dann mit anderen Ansichten …«
»Wir haben hier ein Budget, um
bestimmte Dinge drucken zu lassen«, unterbrach ihn der Minister. »Wie dick ist
es denn, Ihr Buch? Haben Sie es dabei? Kann ich es mal sehen?«
»Getippt habe ich es noch nicht!«
musste Refık gestehen. Ihm
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