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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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genau das Gegenteil! Jammerschade, dass Atatürk so krank ist. Was soll nur
werden? Tja, wir warten, nicht wahr?« Vor der Tür blieb er stehen und sah sich
suchend um. »Na, her damit!« sagte er dann und ließ sich von einem Diener in den
Mantel helfen. Wieder fasste er Refık am Arm und sagte zu Muhtar:
»Nochmals danke, dass Sie ihn zu mir gebracht haben! Ich werde ihm helfen! Der
Wunsch eines Abgeordneten ist uns Befehl. So, wo müssen Sie jetzt hin?« Er
deutete auf seinen Dienstwagen.
    »Wir gehen zu Fuß!« erwiderte Muhtar
schroff.
    »Ich spreche also dann mit der Publikationskommission!«
sagte der Minister zum Abschied. Mit einem scheinhöflichen Lächeln stieg er in
sein Auto und fuhr davon.
    Muhtar sah den Wagen im Dunkel
verschwinden und rief dann aus: »Kasper! Scharlatan! Ehrloser Kerl!«
    Sie gingen in Richtung
Kızılayplatz. Die Luft war kalt und trocken, wie tot. Die Straße war
voller Leute, die aus ihren Büros herauskamen, noch schnell Einkäufe
erledigten, vor dem Heimgehen im Stehen noch etwas tranken. »Wir warten«, hatte
der Minister gesagt. Auch vor Schaufenstern, in kleinen Kneipen, an
Blumenständen und Bushaltestellen warteten die Menschen. »Und ich warte eben
auch!« dachte Refık.
    »So was will ein Minister sein und
läuft einem kleinen deutschen Beamten bis zur Tür hinterher!« schimpfte Muhtar.
»Was ist denn mit dem Ansehen unseres Staates? Und dann wagt er es auch noch,
schlecht über İsmet Paşa zu reden!«
    Refık dachte: »Perihan wartet
in ihrem Zimmer auf mich! Und mein Bruder im Büro und meine Mutter im
Wohnzimmer!« Der Gedanke beschämte ihn.
    »Siehst du, er hat gedacht, wir
wollen Geld von ihm und nur dieses Buch verkaufen!« sagte Muhtar grollend.
»Weil die keinen Funken Idealismus haben! Es sind eben immer noch die gleichen
am Ruder! Aber das wird sich bald ändern!« Er seufzte auf. »Bald ist hoffentlich
alles ganz anders!«
    Refık dachte: »Was soll nun aus
mir werden?« Die Leute auf der Straße, das Licht, alles kam Refık öde und
leblos vor. Beim Gedanken an den Roman Ankara, der im Hotelzimmer auf
ihn wartete, musste er lachen. Der reine Hohn war das. Er wollte an gar nichts
denken.
    »Jetzt zieh nicht so ein Gesicht!«
sagte Muhtar. »Das wird schon noch! Ich bringe dich auch mit dem Finanz- und
dem Justizminister zusammen. Solche Aspekte hat dein Projekt doch auch, oder?
Schau nicht so! Jetzt musst du eben abwarten können. Und vorsichtig sein! Warum
hast du bloß von der Zeitschrift angefangen! Na ja, egal. Du bist eben zu einem
sehr unglücklichen Zeitpunkt gekommen. Alles ist im Wandel begriffen. In
solchen Zeiten muss man warten können, dann kommt man zu was. Das war aber auch
ein sehr gewöhnlicher Mensch. İsmet Paşa würde dem nicht mal seine
Tasche zum Tragen geben, geschweige denn einen Ministerposten!« Sie kamen am
Kızılayplatz an. Der Abgeordnete legte Refık die Hand auf die
Schulter und sagte: »Wir erwarten dich und Ömer morgen zum Abendessen!«
    Refık ging in sein Hotel im
Stadtteil Ulus zurück. In seinem Zimmer sah er auf das Goethebild, das er auf
den kleinen Tisch gestellt hatte. »Was bin ich nur?« Er legte sich aufs Bett
und dachte an das Gespräch mit dem Minister, an das seit zwanzig Tagen
andauernde Warten, an die sieben Monate an der Baustelle, an Istanbul, an
Perihan. Ein Jahr zuvor hatte Muhittin ihn in Beşiktaş einmal
gefragt, ob er noch der alte sei. »Und wie bin ich jetzt?« Unfähig zu denken,
starrte er lange auf die schmutzige Deckenlampe, und es zogen ihm dabei
Wortfetzen des Ministers durch den Kopf, Erinnerungen, Bilder von Perihan, dem
Haus in Nişantaşı, seinem früheren Leben. Dann raffte er sich
auf und nahm Yakup Kadris Roman zur Hand. Erst fand er ihn wieder so lächerlich
und armselig wie eh und je, dann aber zwang er sich regelrecht, sich vom Eifer
des Autors anstecken zu lassen.

41
  EINE TOCHTER DER REPUBLIK
    Ein Hahn krähte, einmal, zweimal. Da wachte Nazli auf.
»Heute ist der Tag der Republik!« dachte sie sofort. Sie sah auf die Uhr: Es
war sieben. Als der Hahn wieder krähte, stand sie auf. Frierend ging sie zum
Fenster. Im Garten des Nebenhauses scharrten Hühner. »Der Tag der Republik!«
Das erste Tageslicht beschien den Hühnerstall. In dem Garten stand rauchend ein Mann
in Pantoffeln, mit einem Mantel über dem Schlafanzug. Es war Oberst Muzaffer,
der im Verteidigungsministerium arbeitete. Früher, vor zehn Jahren, als Nazlis
Vater als frischgebackener Abgeordneter nach Ankara

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