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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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Umgang mit Jungen nicht schüchtern sein,
es soll Atatürks …« Ach was. Nazli merkte, dass sie immer schneller ging. Als
sollten ihre Schritte mit den Gedanken mithalten. Die kleine Pfadfinderin ging
stolz an ihr vorbei. »Die wird auch heiraten und Kinder bekommen!« Das hatte
Ömer einmal herabwürdigend über ein
Mädchen gesagt. Und Küchengeruch mochte er nicht, das hatte er auch mal
geäußert. Er identifizierte sich mit einem Romanhelden, mit Rastignac, aber das
war schon etwas kindisch. Erst war es ihr sogar peinlich gewesen, nun ging sie
mit Nachsicht darüber hinweg. Bei Männern Schwächen festzustellen nagte aber an
ihrem Urvertrauen in die Welt. Sie ärgerte sich wohl deshalb auch über
Refık. »Ein Eroberer sein wollen! Wie kommt man bloß auf so was?« Das
musste Ömer aus Europa haben. »Schließlich heiraten wir ja doch! Und wenn er
keinen Küchengeruch mag, dann soll er seine Frau da gefälligst heraushalten und
ein Dienstmädchen einstellen! Was will ein junger Mann überhaupt?« Darauf fand
sie keine bündige Antwort. »Und was will ich? Nicht so werden wie meine Mutter,
obwohl mir gerade das blüht.« Dann verglich sie Ömer mit ihrem Vater. Ömer
hatte in Europa gelernt, was das Leben für einen Wert hatte. Auch die Republik
hatte von Europa viel gelernt. Dass man statt dem Fes so einen komischen Hut
aufsetzen sollte. Und wie ein junges Mädchen zu sein hatte. Das sollte nun
allen beigebracht werden. »Aber so blindes Nacheifern wie bei Ömer, das liegt
mir nicht!« Ömer hatte einmal angedeutet, wie er dazu stand, und dann wieder,
wie so oft, auf irgendeinen imaginären Punkt gestarrt. Auch legte er in letzter
Zeit ein Gebaren an den Tag, das Nazli auf die Nerven ging. Wie ein antiker
Philosoph oder ein chinesischer Weiser lächelte er vor sich hin, als ob er
schon alles gesehen und erlebt hätte. Dann verwandelte sich dieses Lächeln in
ein herablassendes Grinsen, bis Nazli sich vorkam wie ein Dummchen, das wegen
seiner Ignoranz ständig um Verzeihung bitten musste. Ach, warum dachte sie an
einem Feiertag nur solches Zeug! »Ich werde ihn das alles fragen! Wenn er mich
nicht will, dann soll er es sagen! Genau danach werde ich ihn fragen!« Sie bog
von der Hauptstraße ab, und nach wenigen Schritten wurde ihr klar, dass sie das
nicht fragen würde. Weil Ömers Antwort sie nämlich erröten ließe.
    Sie kam wieder an den
Genossenschaftshäusern von Yenişehir
vorbei. Alles war dort gleichförmig, vom Grundriss der Häuser über die
Schornsteine und die engen Balkons bis hin zu den Fähnchen auf den Balkons; nur
bei der Gartengestaltung taten sich Unterschiede auf. Auch Beamte wussten sich
voneinander abzuheben. Während der eine es mehr mit Bäumen hatte, tat der
andere sich mit bunten Blumen hervor, manch einer friedete seinen Garten mit
einer Mauer ein oder hielt sich Hühner wie der Oberst nebenan. Mit Ömer hatte
sie darüber schon mal ein unerquickliches Gespräch geführt. Sie dachte an das
Leben in diesen Häusern. »Jetzt wachen sie auf, dann frühstücken sie, lesen
Zeitung, machen das Radio an, machen sich für den Festakt zurecht.« Auch wenn
sie im Dunkeln durch diese Straßen ging, kamen ihr ähnliche Gedanken. Dann
schienen aus den Fenstern Lichter in die Nacht, die von einem sich ständig
wiederholenden Alltag kündeten. »Wir werden in Istanbul leben«, dachte sie,
aber machte sie sich damit nicht etwas vor? Schon ihre Mutter hatte sich nach
Istanbul gesehnt. Nazli merkte erstaunt, dass ein unbeflaggtes Haus ihr
regelrecht wohltat. »Woran glaube ich eigentlich? Was ist mir etwas wert im
Leben? Ich werde ihn direkt fragen: Willst du mich heiraten oder nicht? Und er
soll mir eine klare Antwort geben.« Ömer würde wohl etwas ganz anderes sagen,
dachte sie, diesmal aber ohne ein Erröten zu befürchten. »Ich werde so sein wie
alle anderen auch. Nur vielleicht ein bisschen besser!«
    Sie bog in ihre Straße ab. Von ihrer
Fröhlichkeit war nichts mehr übrig; versonnen sah sie im Gehen vor sich hin. Weder
der Spaziergang noch ihre Gedanken oder der bevorstehende Tag hatten etwas
Belebendes an sich. Der Oberst stand nun im Vorgarten, nach wie vor in seinem
peinlichen Aufzug. Zum erstenmal seit Jahren fand Nazli ihn sympathisch. Sie
sperrte auf und ging hinein. Auf der Treppe wünschte sie sich ihre Fröhlichkeit
zurück. Sie hörte, dass ihr Vater schon auf war, und ging ins Wohnzimmer.
    Der Frühstückstisch war für zwei
Personen gedeckt. Auf dem bullernden Ofen zog der Tee.

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