Cevdet und seine Soehne
gekommen war, hatte der
Oberst am Tag der Republik noch zusammen mit seiner Frau die diversen
Feierlichkeiten besucht, doch in den letzten Jahren hatte er das aufgegeben.
Der Feiertag schien ihn nicht mehr zu kümmern. Mit seinem langen Bart und
seinem verschossenen Schlafanzug wirkte er weniger wie ein hoher Militär, der
den fünfzehnten Gründungstag der Republik beging, als vielmehr wie ein
Tuberkulosekranker, der im Krankenhausgarten spazierenging. Diesem betrüblichen
Anblick wollte Nazli sich nicht länger aussetzen. Vermutlich war noch niemand
auf im Haus, und so beschloss sie, allein zum Kızılayplatz zu gehen.
Sie wusch sich kurz und zog sich an.
Sie brauchte nicht lange zu überlegen, welches Kleid sie anlegen sollte, denn in
alter Festtagsgewohnheit hatte sie am Vorabend schon alles bereitgelegt. In
ihrem roten Kleid mit den weißen Streifen betrachtete sich vor dem
Schrankspiegel und gefiel sich. Dann zündete sie die Öfen an. Wenn die anderen
aufwachten, würden sie das Haus angenehm warm vorfinden und gerührt an Nazli
denken. Sie selbst würde dann schon unterwegs zum Kizilay sein. Ein schöner
Gedanke! Sie fühlte sich wohl in ihrer Haut, kam sich klug und liebenswert vor.
Sie streichelte die Katze und hätte ihr auch gerne etwas zum Fressen gegeben,
aber sie wollte so schnell wie möglich aus dem Haus. Sie eilte die Treppe
hinunter, schlüpfte hinaus und zog leise die Tür hinter sich zu. Im dunstigen
Himmel über Ankara schwebte Festtagsstimmung. Sie ging los.
Die Morgenspaziergänge an Feiertagen
waren eine allmählich in Vergessenheit geratende Familientradition. Zu
Lebzeiten ihrer Mutter waren sie nicht nur am Tag der Republik, sondern an
allen staatlichen Feiertagen gleich nach Sonnenaufgang zusammen ins Zentrum
gegangen. Ihr Vater hatte immer eifrig doziert und ihre Mutter viel gescherzt.
Nazli mochte diese gemeinsamen Spaziergänge, die sie spüren ließen, wie sehr
ihre Eltern sie liebten. Wenn ihr Vater kopfschüttelnd auf unbeflaggte Häuser
gezeigt hatte, war Nazli ganz traurig darüber gewesen, was es doch für
schlechte Menschen gab. Nun stellte sie erfreut fest, dass
an kaum einem der gleichförmigen Einfamilienhäuser keine Fahne hing.
Sie ging schnell, als hätte sie es
eilig, doch war ja noch kaum jemand wach, so dass ihr ein langer,
jungfräulicher Tag bevorstand. Noch am Vormittag würden Ömer und sein Freund
Refık kommen und zum Mittagessen bestimmt auch Onkel Refet. Danach würde
ihr Vater zur Feier im Parlament gehen, und anschließend stand ein gemeinsamer
Besuch im Stadion auf dem Programm. Abends würden sie dann wieder zu Fuß ins
Zentrum und bis Ulus gehen, wo es ein Feuerwerk gab. Am liebsten hätte sie nur
daran gedacht und ansonsten in Erinnerungen an frühere Feiertage geschwelgt
oder sich hin und wieder über ein unbeflaggtes Haus geärgert, aber da war
etwas, das ihr keine Ruhe ließ. »Was soll nur aus Ömer und mir werden?« dachte
sie. Sie kam an einer Schule vorbei, deren Fenster mit Kreppgirlanden,
Atatürkbildern, Laternen und Fahnen mit Atatürkkonterfei geschmückt waren.
Während ihrer Kindheit in Manisa hatte an Feiertagen ihr Vater immer ganz im
Mittelpunkt gestanden. Als Gouverneur hielt er seine Rede zum Tag der Republik,
und danach erboten die Honoratioren der Stadt einander ihre
Festtagsglückwünsche, und die Leute streichelten dem Gouverneurstöchterlein in
ihrem roten Kleidchen über das bezopfte Haar mit den weißen Schleifchen darin.
Ihre Mutter lächelte immer dazu, als empfinde sie das alles ein wenig albern
und pathetisch, und sie züchtete sich geduldig eine Lungenkrankheit heran und
klärte ihre Tochter in sanftem Ton über die klare Linie auf, die das
Schickliche vom Unschicklichen trennte. Atatürk, der damals in der Provinz
sehnlichst erwartet wurde, war jetzt krank, die Mutter längst gestorben. Nazli
war zum Studieren nach Istanbul gegangen und nun wieder zurück. Von Atatürk
hieß es, er würde nicht mehr gesund werden, so wie damals auch von der Mutter.
Ihr Vater hatte am Vortag gesagt, es würden ganz umsonst im Stadion
Vorbereitungen für Atatürk getroffen, und der Feiertag werde mehr von banger
Erwartung als von Freude geprägt sein.
Sie ging dahin, zwischen
Fröhlichkeit und Beklemmung schwankend. Mittlerweile war es zwanzig nach
sieben, und sie hatte die Hauptstraße erreicht, auf der nun das Leben begann.
Ein Straßenfeger kehrte das Laub der kleinen Alleebäume zusammen. Ein Angehöriger der Fliegerschule hatte sich
in
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