Cevdet und seine Soehne
hätte, kam auch ein Besuch bei seinem
ehemaligen Kommilitonen Samim in Frage. Irgendwie reizte ihn aber beides nicht
so recht. »Ich könnte auch in den Club gehen. Oder ins Kino. Oder soll ich zu
Nazli?« Er stand vom Bett auf und sah zum Fenster hinaus: Es schneite. »Was
soll ich machen?« Er setzte sich in den Sessel und griff zur Zeitung. » Wahlvorbereitungen
in vollem Gange! Ministerpräsident Köse Iwanow aus dem befreundeten Bulgarien
auf Staatsbesuch.« Er legte die Zeitung wieder weg. »Was soll ich nur machen?«
Schließlich beschloss er, in den Hotelsalon hinunterzugehen.
Seit einem halben Jahr wohnte er nun
in dem Hotel. Die Gäste bestanden zum Großteil aus Abgeordneten und
Geschäftsleuten. Wegen der auf Ende März angesetzten Wahlen waren seit Ende Januar Parlamentsferien, und das Hotel
war daher verwaist. Abgesehen von einem dösenden Hoteldiener begegnete Ömer auf
dem Weg in den Salon hinunter keinem Menschen, weder auf der Treppe noch auf
den Korridoren. »Soll ich hier was trinken?« Er betrat den Salon.
Seit einem halben Jahr überlegte er
immer, wie er seinen Tag verbringen sollte, und ging dann doch so gut wie jeden
oder – wie in letzter Zeit – jeden zweiten Tag zu Nazli. Das Hochzeitsdatum war
nun endgültig festgelegt worden auf Ende April, und bis dahin wollte er weder
nach Istanbul fahren noch sich mit Hochzeitsvorbereitungen beschäftigen. Über
letztere hatte er noch am Vortag mit Nazli gestritten, aber daran wollte er
jetzt nicht denken, sondern sich lieber ablenken. Das sollte ihm aber hier
nicht gelingen, denn wo sich sonst immer Parlamentarier und Geschäftsleute
tummelten, saßen nun lediglich ein alter Mann und eine Familie mit ihren
Koffern herum. Da er nicht schon mittags mit dem Trinken beginnen wollte, ging
er wieder in sein Zimmer hinauf und überlegte weiter, wohin er gehen könnte.
Zum Friseur wollte er nicht, denn dort
war es doch nur auszuhalten, wenn einen danach irgendeine Festlichkeit
erwartete. Auch in den Club der Bauingenieure zog es ihn nicht. Genau wie im
Istanbuler Pendant war dort nichts anderes zu erwarten als endloses Geschwafel
über Geschäfte, Bestechungen und Weibergeschichten, und immer die gleichen
Leute saßen im Zigarettenrauch da und spielten Karten und rissen Witze. Ömer
war schon oft dort gewesen und hatte stundenlang Bridge gespielt, und er wusste
daher, dass er die Kameradschaft, nach der ihm war, dort nicht finden würde. Im
Kino war er in dieser Woche schon zweimal mit Nazli gewesen, dort konnte also
nichts Neues laufen. Trotzdem griff er zur Zeitung und vergewisserte sich;
tatsächlich, nichts Interessantes. Die Filme, die er mit Nazli gesehen hatte,
hatten ihm außerdem nicht gefallen. Sein Auge fiel auf die Unterhaltungsseite
der Zeitung, auf der er zuerst einen unglaublich albernen Witz, dann einen
halbwegs amüsanten las. Er blätterte weiter und stieß auf eine Ausschreibung
für den Bau mehrerer Brücken im westlichen Schwarzmeerraum, die er bereits am
Morgen gelesen hatte. Da Ömer nun finanzkräftig genug war, um sich auf solche
Großaufträge einzulassen, hatte er sich diesbezüglich im Club schon umgehört.
Er las, wie an das Lastenheft zu gelangen war und wo genau die Brücken
entstehen sollten. »Lohnt sich das überhaupt? So weit weg, nur für ein bisschen
mehr Geld?« Im vergangenen halben Jahr hatte er mit Hilfe seines Schwagers
allein mit dem An- und Verkauf einiger Grundstücke in Istanbul neuntausend Lira
verdient. »Lohnt sich das also?« Er blätterte weiter. Während er eine
Cremereklame ansah, dachte er: »Dabei wollte ich doch ein Eroberer werden und
viel Geld verdienen!« Er musste grinsen. »Vor dem Friseur graut es mir, auf den
Club habe ich keine Lust, im Kino läuft nichts, und Nazli kommt nicht in Frage.
Also auf zu Samim!« Er legte eine Krawatte um und zog sich warm an. Nunmehr
besserer Laune, ging er hinunter, gab seinen Schlüssel ab und verließ das
Hotel.
Auf Ulus rieselten schwere Schneeflocken
herab, die am Boden sofort schmolzen. Es waren nur wenige Menschen unterwegs.
Ömer bestieg ein Taxi und gab eine Adresse in Sıhhiye an. Auf der Fahrt ließ er sich von den
vorbeiziehenden Bildern ablenken. »An den Ärger mit Nazli gestern will ich gar
nicht denken!« Als er aus dem Taxi ausstieg, kam es ihm noch früh vor, so dass
er gemütlich in Richtung Kizilay schlenderte. Er dachte daran, wie herzlich
Samim und dessen jungverheiratete Frau ihm zugetan waren. »Ja, woanders als zu
denen kann ich jetzt
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