Cevdet und seine Soehne
weiterhin als ein Ganzes die einzig richtige Auffassung
vertreten. Die türkische Bewegung wird sich lediglich von einigen radikalen
Elementen trennen, die einen falschen Weg einschlagen.«
Es folgte eine Stille, als wollte
jeder den historischen Augenblick genießen. Sie saßen in Mahir Altaylıs
Wohnung in Vezneciler, wo sich jeden Sonntagmorgen die vier, fünf Redakteure
von Ötüken trafen, um über die türkische Bewegung und die anfallenden
Aufgaben zu sprechen. Das Mittagessen war beendet, Mahir Altaylıs Frau
hatte den Tisch abgeräumt, und seine Tochter, die Muhittin sehr ins Auge stach,
hatte längst den Kaffee serviert, doch verharrten sie noch bei Tisch. Das ganze
Essen über hatte Mahir Altaylı von seinem Gespräch mit einem
nationalistischen Professor berichtet, der nach Atatürks Tod in die Türkei
zurückgekehrt war. Man gab sich selbstsicher und entschlossen am Tisch, doch
der unverhoffte Verlauf jenes Gesprächs ließ Zweifel wach werden. Sie
befürchteten nämlich, der in nationalistischen und rassistischen Kreisen sehr
angesehene Professor werde seinerseits eine Zeitschrift herausbringen.
»Was sagt er zu Hatay?« fragte
Serhat.
»Das ist ja eigentlich ein abgeschlossenes
Kapitel, aber ich habe ihn trotzdem danach befragt. Er ist auch da auf dem
Holzweg. Er war für die friedliche Lösung, die zu einer Angliederung führt.
Damit hat er zwar recht bekommen, aber das war der falsche Weg. Er begreift
nicht, dass uns die Franzosen Hatay nur deshalb gegeben haben, damit wir uns
nicht auf die Seite der Deutschen schlagen. Hätten wir uns Hatay mit Gewalt
geholt, wäre es zum Kampf mit den Franzosen und Engländern gekommen, und wir
hätten heute mit größter Selbstverständlichkeit eine Allianz mit den Deutschen.
Hatay gehört zwar heute uns, aber wir haben eine Chance verpasst. Das habe ich
ihm alles zu bedenken gegeben, aber er hat mich nicht begriffen oder zumindet
so getan. Er hat sogar an den Deutschen herumgemäkelt. Der türkische
Nationalismus werde durch den deutschen Nationalsozialismus in Misskredit
gebracht, weil uns alle nur noch als Faschisten sähen, und deshalb müssten wir
uns vor den Deutschen in acht nehmen. Wie einen naiven kleinen Schüler hat er
mich behandelt. Ob er das alles selber glaubt, weiß ich auch nicht. Ich habe
ihn aber schon auf einen Widerspruch hingewiesen und ihn gefragt, wie sich das
denn vertrage, auf der einen Seite die Schädelvermessung und auf der anderen
eine gemäßigte Politik in Abgrenzung von den Deutschen. Ganz verärgert hatte er
da von seiner Erfahrung schwadroniert, und dass ich noch viel zu jung sei, und
er hat von neuen Büchern angefangen, die er gelesen habe, von Blümchen und
Gobineau. Der ist also noch nicht mal über Gobineau hinaus!«
»Wir müssen was unternehmen gegen
den!« rief Serhat, wie immer der eifrigste.
»Ich weiß nicht, lohnt sich das?«
fragte Mahir Altaylı in plötzlicher Bescheidung.
»Stimmt, lohnt sich vielleicht gar
nicht!« rief Serhat. »Wer ist er denn schon: ein alternder Professor. Er hat
nichts mehr als seinen Namen: Gıyasettin
Kağan. Es heißt, dass er
Hühner züchtet bei sich im Garten in Üsküdar.«
»Von diesem Namen hätten wir
vielleicht noch profitieren können«, murmelte Mahir Altaylı. »Von dem Mann
selber nicht, aber von seinem Namen. Na ja, nichts draus geworden. Aber ganz
habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Wir müssen ihm gegenüber eine
vorsichtige Politik betreiben.«
»Eine vorsichtige Politik!«
wiederholte einer der Jungen ehrfürchtig. Mahir Altaylı nippte ungerührt
an seinem Kaffee.
»Jetzt sehen wir uns mal die
Dossiers an«, sagte er dann. Für die Januarausgabe der Zeitschrift mussten
Artikel und Gedichte ausgewählt werden.
Mahir Altaylı stand auf, aber
einer der Jungen kam ihm zuvor und holte zwei Dossiers vom Bücherregal.
Muhittin rief ihm nach, er solle auch gleich sein Dossier mit den Gedichten an
den Tisch holen, das er ihnen vor dem Essen gezeigt habe, doch der Junge wollte
das nicht hören oder hörte es auch tatsächlich nicht, jedenfalls kam er ohne
Muhittins Dossier an den Tisch zurück.
Wütend stand Muhittin selber auf.
Mahir Altaylı fing gleichwohl sofort zu sprechen an, als wär Muhittins
Anwesenheit nicht so wichtig. »Der und seine Jünger!« dachte Muhittin und griff
zu seinem Dossier. Er war bei der Zeitschrift für die Gedichte zuständig. Auf
dem Rückweg zum Tisch sah er, wie ergriffen die jungen Leute Mahir Altaylı
lauschten. »Mich haben
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