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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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gar nicht hin!««
    Er war Samim vor zwei Monaten im
Club wiederbegegnet. Sie waren Kommilitonen gewesen, ohne aber viel Umgang
miteinander zu haben. Auf Ömers Frage, warum sie eigentlich nicht schon damals
Freundschaft geschlossen hatten, hatte Samim Refık und Muhittin erwähnt
und gesagt: »Ich habe Angst vor euch gehabt!«, worauf Ömer losgelacht hatte.
»Er ist wirklich ein guter Kerl, und er und seine Frau meinen es gut mit mir.
Warum haben wir bloß damals nicht schon zueinandergefunden? Angst hat er vor uns
gehabt! Wohl nicht zu Unrecht. Die Allerangenehmsten waren wir nicht. Und wie
sind wir heute? Wie bin ich?« Es war hier bei weitem nicht so menschenleer wie
in Ulus. Dem Schnee und der Kälte trotzende Menschen bevölkerten an diesem
Samstag nachmittag Gehsteige und Lokale. Ömer musterte die Gesichter. »Die
einen wollen nichts wie nach Hause, die anderen hat der Wunsch nach etwas von
dort fortgetrieben. Wie sie mich wohl sehen? Ein gutaussehender junger Mann in einem eleganten Mantel … Vermutlich
so!« Und Samim und seine Frau? »Ja, jung, gutaussehend, eleganter Mantel, nur
dass die auch noch wissen, wie reich ich bin. Und dass meine Braut einen
Abgeordneten zum Vater hat … Aber ich tue Samim Unrecht!« Als müsste er über
Hässliches hinwegsehen, blickte er zum Himmel hinauf. Die schweren
Schneeflocken, die zwischen den neuen Apartmenthäusern herabsegelten, brachten
ihm aber lediglich einen dummen alten Vers in Erinnerung: »Schnee wie ein
Vogel, dem verlorengeht die Frau …« Da fiel ihm wieder Nazli ein und der
Streit, den sie gehabt hatten. »Was soll’s, Samims Frau setzt wohl gerade
frischen Tee auf!« Doch die Gedanken ließen sich nicht verscheuchen. »Ich bin
irgendwie verbiestert und werde das nicht los! Und warum? Weil ich gestern mit Nazli
so gestritten habe. Und weil ich diese Ehe, dieses ganze … Nein! Ich werde
jetzt Tee trinken bei denen. Und reden.« Er dachte daran, worüber sie bei Samim
wohl sprechen würden, und seufzte. »Na ja, sie bewundern mich eben. Weil ich so
reich und so intelligent bin und so eine Verlobte habe. Was soll ich jetzt tun?
Zurück ins Hotel?« Er bog von der Hauptstraße ab. Falls er ins Hotel
zurückkehrte, würde er zu trinken anfangen, aber seltsamerweise schreckte ihn
dieser Gedanke gar nicht. »Was ich an Samim auszusetzen habe? Dass er und seine
Frau mir nach dem Mund reden und sich meinen größten Blödsinn anhören, als wäre
er weiß Gott wie geistreich. Sie sind einfach zu gut zu mir, so wie eine Mutter
zu ihrem Sohn, wenn sie meint, er wird mal General!« Er verzog das Gesicht und
wollte schon umkehren, aber dann kam ihm wieder Samims treuherziges Lächeln in
den Sinn. »Er ist kein schlechter Junge, ganz und gar nicht, aber irgendwie so
gewöhnlich! Er mag mich ganz ohne Hintergedanken wegen meiner Eigenschaften, aber
er ist eben naiv!« Einmal hatte Samims Frau sich gegenüber Nazli so benommen,
als sei sie dieser ebenbürtig, und zwar in dem Wunsch, es auch tatsächlich zu
sein, aber das hatte so deplatziert gewirkt, dass ein peinliches Schweigen
entstanden war. »Sie sind so gut zu Nazli und mir, weil sie so leben wollen wie
wir, oder vielmehr so, wie sie sich vorstellen, dass wir leben. Sie wollen so
werden wie wir. Das ist ihnen vielleicht nicht bewusst, aber sobald sie uns
sehen, verhalten sie sich ganz instinktiv so. Nein, ich kann da jetzt nicht
hin!« Abrupt blieb er stehen. Das Haus, in dem sein Freund
wohnte, war keine fünfzig Schritt mehr entfernt. »Was denke ich nur für
hässliches Zeug!« Im Nebenhaus ging ein Fenster auf, eine Frau streckte den
Kopf heraus und rief einem Jungen, der gerade das Haus verließ, noch zu, er
solle beim Krämer auch Essig besorgen. »Was für unschöne Gedanken! Die sind so
gut, und ich bin schlecht. Und warum? Weil ich mir mal eingebildet habe, ein
Eroberer zu sein.« Er tat noch ein paar Schritte, dann kehrte er um. »Mit
solchen Gedanken im Kopf hätte ich ohnehin keine Ruhe dort!« dachte er
erleichtert.
    Als er wieder an der Hauptstraße
anlangte, schneite es nicht mehr. Als hätten in allen Läden und Häusern die
Leute nur darauf gewartet, waren im Nu die Gehsteige voll. »Was soll ich nur
machen? Soll ich zu Nazli gehen und alles noch mal bereden mit ihr? Das könnte
aber noch fürchterlicher ausgehen als gestern! Das will ich nicht! Also was
sonst? Wohin soll ich jetzt?« Aber eigentlich wusste er es schon. Er würde ins
Hotel zurückgehen und im Salon zu trinken beginnen. Deshalb

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