Cevdet und seine Soehne
sie wohl schon vergessen. Die würden alles für ihn tun,
so bewundern sie ihn. Was habe ich eigentlich hier verloren? Nein, fang nicht
damit wieder an! Ich glaube jetzt einfach an die Sache!« Er setzte sich wieder
an den Tisch.
Es war noch nicht von den Dossiers,
sondern immer noch von Gıyaseddin
Kağan die Rede. Muhittin merkte, wie sehr der Mann sie beunruhigte. »Wie
soll er uns denn schaden? Nun ja, wenn er eine Genehmigung dafür bekommt, gibt
er eben seine eigene Zeitschrift heraus. Und wir sind dann weg vom Fenster!«
Statt Katastrophenstimmung löste der Gedanke bei ihm Frohsinn aus. »Unsere Zeitschrift
verkauft sich dann nicht mehr, und Mahir Altaylı bekommt von der Creme der
Nationalisten den Laufpass!« Erschrocken hielt er inne. »So darf ich doch nicht
denken! Ich muss mich der Sache richtig hingeben! Also, was fällt jetzt an?« Er
schlug sein Dossier auf, aber dann klappte er es gleich wieder zu, denn es war
wohl angebracht, erst einmal Mahir Altaylı zuzuhören. Der sprach immer
noch über den Professor.
Serdar sagte: »Was haben wir denn zu
befürchten von ihm? Wenn er nur noch in Üsküdar hockt und
liest und seine Hühner füttert … Ignorieren wir ihn doch!«
»Nein, wir müssen ihn ausnützen!«
erwiderte Mahir Altaylı und stand auf. »Wir sollten einen würdigen Artikel
über ihn schreiben! Dann werden seine Bewunderer auf uns aufmerksam und geben
mehr auf unsere Zeitschrift. Aber ich selber kann so etwas nicht schreiben. Aus
dem Artikel muss hervorgehen, dass er in Ehren ergraut, aber eigentlich nicht
mehr aktuell ist. Mehr so eine Art Nachruf …« In der Gewissheit, dass aller
Augen auf ihn gerichtet waren, ging er im Zimmer herum.
Muhittin wollte gar nicht hinsehen
und schlug doch wieder sein Dossier auf. Vor den meisten Gedichten, die bei der
Zeitschrift eingingen, graute ihm. Lauter Lobhudeleien auf Kampfgeist und
Heldentum und die Titel fast immer aus alten Legenden abgekupfert. Stets kamen
die gleichen Wörter darin vor. Mahir Altaylı wollte in der Zeitschrift
möglichst viele Gedichte veröffentlichen, um die Jugend anzufeuern und an das
Blatt zu binden. Muhittin hatte für die kommende Ausgabe wieder eine Auswahl
getroffen und dabei auch ein Gedicht eines seiner beiden Kadettenfreunde
berücksichtigt. Innerhalb von drei Monaten hatte er sie zum Nationalismus
bekehrt. »Die sind eben meine Jünger!« dachte er. Er wollte sich in ein Gedicht
vertiefen, um nicht weiter auf Mahir Altaylı hören zu müssen, und stieß
auf ein Gedicht von sich selbst, das obenauf lag. Da packte ihn wieder jene
Neugier, die ihn so oft davon abhielt, sich dem Nationalismus ganz und gar
hinzugeben. »Warum sind die alle so? Warum schreiben sie solche Gedichte? Was
geht in ihnen vor?« Plötzlich merkte er, dass Mahir Altaylı ihn ansprach.
»Du könntest so einen Artikel
schreiben, Muhittin!«
»Aber ich kenne den Mann doch kaum!«
»Das ist sogar besser, wenn man so einen
loben will. Hast du gar nichts von ihm gelesen?«
»Doch, den Anfang der türkischen
Geschichte und die Folklore Turkestans.«
»Das reicht zur Genüge. Er breitet
ja in jedem Buch seine Lebensgeschichte aus. Ansonsten kannst du mich noch
fragen. Schreib so an die zwei Seiten.«
Muhittin suchte krampfhaft nach
Worten, um seinen Unwillen auszudrücken, aber als sie ihn alle so anblickten,
konnte er sich schon denken, was sie von ihm hielten, und in Erinnerung daran, dass
er einmal Gedichte über Einsamkeit und Tod geschrieben hatte, sagte er: »Zwei
Seiten werde ich schon hinbekommen!«
»Aber behutsam, das Ganze!« forderte
Mahir Altaylı, als fürchtete er, dass da etwas seiner Kontrolle entging.
»Jaja, behutsam«, knurrte Muhittin
und ärgerte sich, dass seine Worte dennoch als unterwürfig gelten mussten. »Ich
bin auch nichts als ein Jünger! Er denkt wohl, dass er mich ganz in der Hand
hat. Hin und wieder fällt ihm wahrscheinlich ein, dass ich mal Gedichte ä la
Baudelaire geschrieben habe! Aber das sind hässliche Gedanken! Ich tue jetzt
einfach, was getan werden muss. Wir versuchen, Leben in die Bewegung zu
bringen.« Er zwang sich zu schicklichen Gedanken. »Vier Jahre lang hat die
türkische Bewegung geschlafen, und erst durch Ötüken ist sie wieder
aufgewacht. Gıyaseddin Kağan scheint eine Gefahr darzustellen. Zur
Vermeidung einer Spaltung …«
»Gemäßigtes Lob soll es werden«,
sagte Mahir Altaylı. »Am meisten wird er selber staunen! Ha! Der wird
nicht wissen, wie ihm geschieht! Sowieso ist er krank.
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