Cevdet und seine Soehne
also
vielleicht vier, fünf Jahre älter, war ich schon Minister. Aber das waren noch
andere Zeiten. Heute muss man sich viel mehr anstrengen und abmühen. Und noch
dazu hatte ich Glück damals … Aber warum erzähle ich das überhaupt?« Er
setzte ein kindhaftes Lächeln auf und kratzte sich am Bart. »Setz dich doch
neben mich, hierher, da drüben sehe ich dein Gesicht nicht richtig.«
Schwitzend wechselte Cevdet auf das
Sofa hinüber, auf dem der Paşa zuvor noch gedöst hatte. Der Diener brachte
den Kaffee und Likör in kleinen Kristallgläsern.
»Du magst doch Erdbeerlikör?« fragte
der Paşa. Und dem Diener rief er hinterher: »Bring uns noch mal Likör! Am
besten gleich die ganze Flasche!« Er kippte sein Glas hinunter. Mit einem
Blick, als wolle er nun gefälligst unterhalten werden, fragte er Cevdet: »Und
was treibst du sonst noch so?«
»Ach, der Laden lässt mir nicht viel
Zeit«, erwiderte Cevdet schuldbewusst.
»Tja ja, der Laden! Mit wem triffst
du dich denn so, was hast du für Freunde?«
»Das sind auch Kaufleute … Fuat
zum Beispiel, von dem ich vorhin erzählt habe.«
»Der ist also aus Saloniki?«
»Ja, Paşa.«
»Hm. Und was sagt er zu dem
Attentat?«
»Darüber weiß er nichts. Wir haben
auch nicht davon geredet!«
»Also was jetzt: Habt ihr nicht davon geredet oder
weiß er nichts?«
»Wir haben nicht davon geredet!«
»Wie kannst du dann behaupten, dass
er nichts weiß?«
Der Paşa lachte los, als er
Cevdets verdutztes Gesicht sah. Im Grunde lachte er aus freudigem Stolz über
seinen Scharfsinn. Das war ein Grund zum Feiern, und schon stürzte er das zweite
Glas Likör hinunter. Er fand die Verblüffung seines Schwiegersohns in spe ein
wenig lächerlich und versetzte ihm prustend einen Schlag auf die Schulter. »Bravo, Junge, du gefällst
mir! Immer schön vorsichtig, immer auf der Hut. So muss es sein!«
Cevdet errötete.
»Nein, nein, mir gefällt deine
bedächtige Art. So muss ein Kaufmann nun mal sein! Und du bist noch dazu ein
muslimischer Kaufmann, also hast du es doppelt schwer! Du hast einiges geleistet!
Früher verdienten nur die Ungläubigen Geld oder schamlose Beamte. Jetzt ist die
Zeit von Leuten wie dir angebrochen. Du bist fleißig, umsichtig, und du neigst
nicht zum Unmäßigen.« Sinnierend blickte er auf sein leeres Likörglas. »Warum
sind denn die so winzig? Man merkt ja gar nicht, dass man etwas getrunken hat!
Ja, also du bist nicht unmäßig, das ist sehr wichtig! Bei uns herrscht ja
dieser Hang vor, es immer gleich zu übertreiben. Und seinen Mund muss man
halten können. Das ist im Geschäftsleben genauso wichtig wie in der Politik.«
Er füllte sein Glas und trank es sogleich wieder in einem Zug leer. »Genau, den
Mund halten. Jetzt, wo ich soviel getrunken habe, erzähle ich dir mal was. Ich
habe mir nämlich das ganze Leben verpfuscht, weil ich einmal den Mund nicht
halten konnte. Hör gut zu!« Der Pascha, ganz aufgekratzt nun, setzte sich
zurecht. Er schenkte sich noch einen Likör ein und begann zu erzählen. »Zu
meinem Ministeramt hat mir damals Rüştü
Paşa verholfen, Gott habe ihn selig. Für das Stiftungswesen war ich
zuständig. Kaum war ich ein halbes Jahr im Amt, da veranstaltet dieser Ali
Suavi seinen Überfall auf den Sultanspalast. Der Großwesir und ich hören
irgendwie davon und eilen zum Palast, wo der Sultan uns auch gleich empfängt.
Der Sultan und der Großwesir besprechen sich, und ich höre zu, ohne mich
einzumischen. Da sagt der Sultan: Diese Kerle hatten wohl vor, mich zu stürzen;
wer weiß, ob da nicht die Minister ihre Finger im Spiel hatten. Völlig falsch!
Na gut, dann ist es eben falsch, was geht dich das an, Şükrü? Aber nein,
ich kann das Maul nicht halten, und in meinem jugendlichen Eifer lege ich los:
Aber ehrwürdiger Sultan, wenn dahinter die Minister steckten, dann würden sie
die Sache doch nicht so angehen! Ich meine, auf so etwas Großes lässt man sich
doch nicht mit so wenigen Leuten ein. Da bekommen die beiden plötzlich einen
Schrecken und denken: Aha, der hat also schon darüber nachgedacht, wie man den
Sultan stürzt, das ist ein gefährlicher Mann. Und auf der Stelle hat mir der
Großwesir mein Amt entzogen. Es wurde eine neue Regierung gebildet, aber ohne
mich! Siebenundzwanzig Jahre sind seither vergangen, aber nie wieder bin ich
Minister geworden! Siebenundzwanzig Jahre lang habe ich Dienst getan, war
Gouverneur in Erzurum und Konya, Gesandter in Paris, aber nie wieder Minister.
Und warum? Weil
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