Cevdet und seine Soehne
verschlagen
und berechnend wäre! Man kommt sich gleich verurteilt vor, wenn er einen so
ansieht!« Sie fuhren über den Nişantaşıplatz.
Aus dem Fenster der Kutsche heraus sah Cevdet aufmerksam auf das Steinhaus an
der gegenüberliegenden Straßenecke. Er hatte es bereits mehrfach besichtigt und
es für seine Zwecke geeignet befunden. Nach dem Besuch bei Şükrü Paşa
gedachte er es noch einmal in Augenschein zu nehmen. Wohlwollend ließ er seinen
Blick auf den Linden- und Kastanienbäumen im Garten davor ruhen und dachte
wieder genüsslich an seine zukünftige Familie. Vor der Teşvikiyemoschee
wurde er dann aufgeregt. Ein letzter prüfender Blick auf den Sitz der Kleidung:
gut. Ihm schlug das Herz.
Beim Aussteigen wurde er wieder von
einem Schuldgefühl erfasst, wie jedesmal, wenn er hierherkam. Der Vorgarten des
Konaks war menschenleer. Während er auf die Tür des Empfangsraums zuging, rührte
sich in dem weiten Garten nichts weiter als ein Spatz, der sich am Wasser des
kleinen Marmorbeckens gütlich tat. Als Cevdet gerade zu dem Klopfring aus
Messing griff, ging die Tür auf, und der Küchengehilfe sagte zu Cevdet, der
Paşa erwarte ihn oben. Cevdet stieg die Treppe hinauf, sehr bemüht, sie
nicht knarren zu lassen. Oben angekommen wurde er von einem weiteren Diener
gleichfalls beschieden, dass der Paşa ihn erwarte. »Eine Familie!«
murmelte Cevdet. Außer dem Ticken der großen Pendeluhr an der Wand war nichts
zu hören. »Eine Familie wie ein Uhrwerk!« Er betrat den weiten Raum, sah aber
dort nichts als vielfältiges Mobiliar.
Er blickte sich um: Stühle, Sofas,
Sessel, Kronleuchter. Es war angenehm kühl. Er ging ein wenig umher. Bei einem Bild
an der Wand fragte er sich, was andere bei dessen Anblick wohl empfinden
würden. Die Füße einiger vergoldeter Sessel hatten die Form von Katzenpfoten.
Vor einer kleinen Truhe mit Einlegearbeiten aus Perlmutt blieb er stehen. Er
fragte sich gerade, wozu sie wohl gut war, als er an einem Stuhl die gleiche
Art von Perlmutt entdeckte und dann auch an einem Sessel und einem Sofa, und
plötzlich stockte ihm der Atem, denn auf dem Sofa lag jemand! Es war Şükrü
Paşa. Unfähig zu einem Gedanken blieb Cevdet zunächst stehen. Darin kam
ihm doch in den Sinn, besser wieder hinauszugehen.
Draußen wartete er eine Weile vor der Tür. Die Uhr tickte. Cevdet fasste seinen
Mut zusammen, ging wieder hinein und seitlich zum Paşa gewandt hustete er
vernehmlich.
»Ach! Ja. Da ist ja unser Herr
Schwiegersohn!« murmelte der Paşa und setzte sich auf. »Komm nur her,
Junge, ich habe nicht geschlafen, ich habe mich nur ein wenig hingelegt.«
»Habe ich Sie aufgeweckt?« fragte
Cevdet und ging auf den alten Mann zu.
»Das war kein Schlafen, sondern nur
ein Dösen. Ich muss beim Essen ein wenig zu viel getrunken haben.« Als er sah,
dass Cevdet ihm die Hand küssen wollte, sagte er: »Nicht doch!«, aber er ließ
es sich gefallen. »Ich wünsche dir, dass auch dir viele die Hand küssen. Warum
bist du eigentlich nicht zum Mittagessen gekommen?«
»Ich wusste ja nicht, dass ich
eingeladen war, Paşa!«
»Was? Hat Bekir dir das nicht
gesagt?« rief Şükrü Paşa, doch seine Entrüstung wirkte reichlich
künstlich. Vermutlich war ihm gerade erst wieder eingefallen, dass er Cevdet
eben nicht zum Essen geladen hatte. »Der bekommt was zu hören von mir! Jetzt
hast du das Essen verpasst! Aber was soll’s! Hauptsache, wir können uns
unterhalten.« Er vollführte dazu eine Geste, die wohl ausdrücken sollte, wie
müßig doch alles war. »Na? Kaffee oder Cognac? Am besten Kaffee und Likör, was?
Warum setzt du dich denn nicht hin?« Er gähnte und streckte sich. »Mein Gott,
ich muss es beim Essen wirklich übertrieben haben!« Er rief seinen Diener, um
Kaffee und Likör kommen zu lassen. »Heiß ist das heute!«
»Ja, sehr heiß«, sagte Cevdet.
»Bei der Hitze kann man ja nicht
rausgehen!« Dann korrigierte er sich: »Also ich zumindest nicht. Was hast du
denn heute so gemacht?«
Cevdet resümierte seinen Vormittag
und ging dabei nur zurückhaltend auf seinen Bruder und dessen Krankheit ein,
ausführlich auf das Mittagessen im Club und überhaupt nicht auf seine Fahrt
nach Haseki.
»Sehr gut. Du gefällst mir!«
versetzte darauf der Paşa. Dann jedoch nahm er sein Lob ein wenig zurück.
»Aber du bist noch jung. Du musst noch unternehmender
werden!« Mit kindlicher Miene fragte er dann: »Wie alt bist du denn?«
»Siebenunddreißig.«
»Als ich so alt wie du war,
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