Cevdet und seine Soehne
Niemand ist zufrieden mit dem augenblicklichen Zustand. Ein
Attentat auf Abdülhamit, wer hätte so etwas je gedacht? Wahrscheinlich wird es
dahingehen mit dem Sultan, man wird ihn stürzen. Siebenundzwanzig Jahre lang
hat er sich nicht an mich erinnert. Aber weißt du, ich will nicht undankbar
sein, mir ist doch einiges zuteil geworden unter seiner Herrschaft. Ich bin
Paşa geworden, Minister und, na ja, auch Gouverneur und Gesandter. Um
meine Töchter und Söhne mache ich mir nicht zu viele Sorgen. Als Gouverneur
habe ich in Erzurum ein billiges Gut gefunden und mir gesagt, das kaufst du
jetzt. Es sitzt ein Verwalter darauf, der den Ertrag verbraucht und uns ein
bisschen etwas davon schickt. Ich weiß nicht, ob ich nicht auch dieses Gut
verkaufen muss. Der Unterhalt des Konaks bringt mich noch um! Ja, und was ich
noch sagen wollte: Ich bin sehr zufrieden mit dir, und um die Zukunft Nigâns
ist mir nicht bange.«
»Danke, Paşa!« erwiderte Cevdet
errötend.
»Und recht vornehm bist du ja auch!
Aber du hast ja noch immer dein Glas nicht leergetrunken! Du bist schon sehr,
sehr vorsichtig!« Dabei schüttelte er den Kopf.
Cevdet trank verlegen sein Glas aus.
Der Likör war ungeheuer süß und klebrig.
»Bravo! Von dem bisschen Alkohol
stirbst du schon nicht! Komm, ich schenk dir noch mal ein! Lass dich mal ein
bisschen gehen! Ich verstehe schon, aus Achtung willst du in meiner Gegenwart
nicht trinken. Gut, habe ich gesehen, gefällt mir. Aber dieses Stadium haben
wir doch hinter uns, jetzt ist Zeit für einen freundschaftlichen Umgang! Sag
doch mal, wie amüsierst du dich denn so, gibt’s da auch mal Frauengeschichten,
was hast du für Interessen?«
»Ich bin ja immer beschäftigt,
Paşa!«
»Na komm schon, sei nicht so
schüchtern!«
»Nein wirklich! Früher bin ich noch
manchmal nach Şehzadebaşı gefahren, aber dafür
habe ich jetzt auch keine Zeit mehr.«
Der Paşa schüttelte wieder den
Kopf. »Aber du hast doch da so ein Lächeln um die Lippen … Das ist
ein sinnlicher Blick, so was erkenne ich sofort!«
Erschrocken stellte Cevdet fest,
dass er zum erstenmal einen Anflug von Verachtung für den Paşa empfand.
»Du sagst ja nichts! Warum nicht? In
dieser Richtung kann man es auch übertreiben, weißt du das? Das ist doch keine
Art. Also ich habe zum Glück mein Leben gelebt und alle Gottesgaben dieser Welt
hinreichend genossen. Aber du? Na, irgendwas machst du doch bestimmt auch,
oder?« Als Cevdets Gesicht sich nicht im mindesten entspannte, sagte der
Paşa schließlich: »Na schön, dann lassen wir das Thema! Besonders
gesprächig bist du ja nicht. Sowieso habe immer nur ich geredet, und du hast
zugehört. Wenn du schon nichts sagst, dann spielen wir eben Tavla! Bist du darin
gut?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Cevdet
mit der gleichen ausdruckslosen Miene.
Sie setzten sich hin zum
Tavlaspielen.
8
ÜBER ZEIT, FAMILIE UND LEBEN
Cevdet spielte nicht gerne Tavla. Die
ersten beiden Spiele verlor er doppelt. »Mein Bruder liegt im Sterben, und ich
spiele hier Tavla!« dachte er. Schließlich hatte er beim Würfeln mehr Glück und
gewann ein paarmal hintereinander. Der Paşa wurde daraufhin gleich viel
lebhafter, aber da begann Cevdet auch schon wieder zu verlieren. Als der Paşa
einmal den Raum verließ, sah Cevdet auf die Uhr und stellte erschrocken fest,
dass es schon auf elf zuging. Er würde also nicht rechtzeitig im Geschäft
zurück sein! Cevdet fand das Tavla-Faible und die Geschwätzigkeit des
Paşas furchtbar. Im Lauf des Spiels hatte er sich neben diversen
Frauengeschichten anhören müssen, in welches Theater der Paşa in Paris
immer gegangen war, wie undankbar sich ihm gegenüber einmal ein Sekretär
betragen hatte; dass er in Konya einen Brunnen gestiftet und als Stiftungsminister
einmal Bestechungsgelder abgelehnt hatte. Als Cevdet gerade wieder verlor, kam
der Diener herein und sagte diskret zum Paşa: »Die gnädige Frau möchte zu
ihrer Freundin Naime nach Şişli
fahren und lässt nach der Kutsche fragen.«
»Jaja, kann sie haben, wo soll ich
denn bei der Hitze hinfahren!« erwiderte der Paşa. Dann aber stand er
plötzlich auf: »Moment! Wann kommt sie denn wieder? Ist es nicht schon zu spät
zum Wegfahren? Frag mal, wann sie wiederkommt. Vielleicht fahre ich noch in den
Club.« Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen und lächelte Cevdet
gewinnend an. Dann würfelte er zweimal hintereinander einen Sechserpasch,
lachte aber nicht einmal auf dabei. Schließlich klappte er
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