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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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Glauben
wichtig! Aber ab dann muss man seinen Verstand benutzen, Schritt für Schritt.
Denk doch nur an unsere Zeitschrift, die verboten wurde, weil wir diese
Landkarte auf dem Titelbild hatten. Wir können das noch so sehr als feiges
Komplott beurteilen, aber Tatsache ist, dass wir einen Fehler begangen haben,
und der hat uns um das einzige Publikationsorgan der türkischen Nationalisten
gebracht.«
    Die beiden Kadetten schwiegen
betroffen. Barbaros sah Muhittin flehentlich an, als wollte er sagen: »Verzeih
ihm doch noch mal!« Turgay wiederum schien sich seiner Gedankenlosigkeit inzwischen
zu schämen. Muhittin genoss die andächtige Stille, die eingetreten war. »Habe
ich sie doch wieder gezähmt!« dachte er. »Beim Anblick meines Zimmer und meiner
Bücher haben sie gemerkt, dass ich auch nur ein gewöhnlicher Sterblicher bin,
und sind sogleich frech geworden!« Er hatte schon den Satz parat, den er ihnen
gleich sagen würde, doch zunächst ergötzte er sich an dem Gedanken, der ihn bei
jeder Begegnung mit den beiden durchfuhr. »Ich bekomme die Kriegsakademie in
die Hand! Mit dem, was ich hier säe, lässt sich vielleicht eines Tages die
ganze Armee …« Dann ärgerte er sich wieder über Turgays Leichtsinn. »Den
Dienst zu quittieren wagt er ja doch nicht, aber was ist, wenn sie ihn wegen
solcher Dummheiten rauswerfen? Nationalist zu sein ist einfach, aber wem
fressen schon Soldaten aus der Hand?« Anstatt Turgay nochmals zu ermahnen,
sagte er lieber seinen Satz, der viel mehr Wirkung tun würde.
    »Die Zulassung für die neue
Zeitschrift wird auf meinen Namen laufen!«
    »Wirklich?« rief Barbaros aus.
    »Natürlich! Oder hattet ihr gedacht,
die Bewegung gibt einfach auf?«
    »Das haben wir nie gedacht!« rief
Turgay, bemüht, sich wieder gut mit ihm zu stellen. »Aber dass du die Zulassung
bekommst …«
    Die Tür ging auf, und Muhittins
Mutter Feride kam herein. Sie schien nicht überrascht, die beiden Männer zu
sehen. »Guten Tag, die jungen Herren!« sagte sie lächelnd.
    »Guten Tag!« erwiderte Turgay und
stand sogleich auf. »Wir wollten Sie vorhin nicht stören!« Er beugte sich vor
und küsste ihr ehrerbietig die Hand.
    Barbaros tat es ihm gleich. Muhittin
sah mitleidig, wie das Gesicht seiner Mutter aufleuchtete. Er fand das
Verhalten der Kadetten überflüssig. Seiner Mutter war wohl schon lang nicht
mehr die Hand geküsst worden.
    »Wie möchtet ihr euren Mokka?«
fragte Feride. Sie wusste nicht mehr wohin mit der soeben geküssten Hand.
    »Mittelsüß!« erwiderte Muhittin.
»Ihr doch auch? Also ja! Ich hole ihn dann!«
    »Ich bringe ihn euch schon!« sagte Feride,
aber dann sah sie Muhittins Gesicht und ging still hinaus.
    »Deine Mutter scheint wirklich eine
gute Frau zu sein!« sagte Turgay.
    Muhittin verzog das Gesicht. »Reden
wir über die Zeitung!« knurrte er. »Morgen gehe ich wieder nach Vezneciler, zu Mahir
Altaylı. Dass ich die Zulassung beantragen soll, haben die mir dort
vorgeschlagen, weil sie mir vertrauen. Ich vertraue aber ihnen nicht, und darum
möchte ich eurem Wunsch, die Leute kennenzulernen, erst mal noch nicht
stattgeben.«
    »Warum vertraust du ihnen nicht?«
fragte Barbaros.
    »Weil bei Ötüken einzig und
allein Mahir Altaylı das Sagen hatte. Ich konnte ja nicht einmal die
Gedichte von euch unterbringen, die mir so gefallen haben. Und ich bin mit
seiner Linie nicht einverstanden!« Mit einer abwehrenden Geste fügte er hinzu:
»Aber ich will hier nicht ins Detail gehen!« Er griff nach seinen Zigaretten
und dachte: »Er reitet darauf herum, dass ich früher Baudelaire gelesen habe.
Ich hätte mich an der westlichen Kultur infiziert, sagt er. Und weil dieser Kulturteufel in mich
gefahren sei, brächte ich jetzt keine Demut mehr auf … Da er der Chef ist,
meint er, ich hätte mich zu bescheiden. Also werde ich etwas tun, wozu es keine
Bescheidenheit braucht! Bei der neuen Zeitschrift werde ich der Chef sein! Aber
jetzt hole ich erst mal den Mokka, damit meine Mutter ihn nicht bringt!«
    Beim Hinausgehen stellte er sich
vor, dass die beiden Kadetten sich gleich auf seine Bücher stürzen würden. »Sie
werden sehen wollen, was ich für einer bin. Bücher, nichts als Bücher … Bin
ich infiziert und vergiftet? Nein, ich bin lediglich intelligent und skeptisch!
« Er betrat die Küche.
    Seine Mutter goss gerade den Kaffee
in die kleinen Mokkatassen. »Ach, bringst du ihn hinüber? Das sind nette Jungs.
Was machen sie denn so?«
    Muhittin hielt es irgendwie für
besser,

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