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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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keine Kindereien mehr an wie die Sache mit dem Grüßen! Wenn ich die
Zulassung bekomme, gehört die Zeitschrift uns, und dann –«
    »Entschuldige, wie soll sie denn
heißen?« fragte Turgay.
    »Altınışık! Goldenes Licht! Aber
ist das Formale so wichtig?«
    »Nein, nein, ich wollte nur eine Vorstellung
haben!«

54
  ZEIT UND ECHTER MENSCH
    Gleich nach dem Erwachen sah Ömer nach
alter Gewohnheit aufs Handgelenk, aber er trug nun keine Uhr mehr. Das alte
Herrenhaus kühlte nachts stark ab, so dass er er im Pullover schlief. »Hm, wie
spät es wohl ist?« Er drehte sich im Bett herum. »Und in welcher Zeit bin ich
hier überhaupt? Im zwanzigsten Jahrhundert oder noch im Mittelalter? In
Erzincan!« Er sah zur Decke hinauf, zu den wurmzerfressenen Holzverzierungen.
Eine Wand war gänzlich von einem Wandschrank eingenommen, auf dem die gleiche
Art von Verzierungen arabische Koranverse umrankte. Ömer versuchte die Verse zu
entziffern, die ebenfalls stark unter den Würmern gelitten hatten. »Vielleicht
sind es ja gar keine Verse aus dem Koran, sondern von Namık Kemal.«
Namık Kemal war von Abdülhamit als Landrat nach Kemah verbannt worden, und
Ömer fragte sich, was er wohl für ein Mensch gewesen war. »Er hat sich damals
dieses Haus bauen lassen, und anlässlich einer Amnestie oder nach Einführung
der Konstitution durfte er nach Istanbul zurück. Wann werde ich wohl zurückgehen?«
Seit dem als Hochzeitstermin festgelegten sechsundzwanzigsten April waren zwei
Wochen und seit seiner Abfahrt aus Ankara ingesamt sieben Wochen vergangen, und
noch immer wohnte er in dem heruntergekommenen Herrenhaus, dessen Verwalter
einst Hacı gewesen war. Als er am Bahnhof angekommen war, hatte Hacı
ihn dort in einem Zimmer im ersten Stock untergebracht, da er keine andere
Unterkunft wusste.
    »Ich bin noch immer da … aber
nicht mehr lange! Ich muss wieder weg von hier. Ich sehne mich nach Istanbul.
Ja, ich gehe weg von hier. Aber wann? So bald wie möglich! Wie spät ist es wohl
jetzt in Istanbul?« Er blickte auf den Schatten auf dem Parkett und versuchte
sich an einer Schätzung. Draußen musste herrlich die Sonne scheinen.
»Frühling!« murmelte er, stand aber gleichwohl nicht auf. »Vielleicht sollte
ich noch ein bisschen schlafen, bevor ich mich an die Arbeit mache? Ja, besser
so, sonst geht nachher die Arbeit nicht vorwärts!« Er überließ sich
wieder dem herannahenden süßen Schlaf.
    Erst dachte er, ihn wecke eine
Autohupe aus dem Schlaf, aber es war eine muhende Kuh. »Wie lang habe ich wohl
geschlafen? Zehn Minuten? Eine Stunde? Schön, wie unwichtig das hier ist! Ich
habe geschlafen, und das hat mir gutgetan. Jetzt kann ich mich an die Arbeit machen!«
Er gähnte. »Womit fange ich an? Ich muss den Generator in Gang bringen, und
dazu muss ich Diesel kaufen. Dann schreibe ich endlich diese Briefe, also das,
was ich mir so vorgenommen habe. Und ich muss nach Erzincan.« Die Kuh muhte
wieder. Ömer hörte eine Frauenstimme murren. Er wusste, dass das Hacıs
Frau war, die im Stall gleich neben dem Haus beim Melken schimpfte, wenn eine
Kuh zu unruhig war. »Schön! Sie melkt wieder!« Zum Spaß hatte er sich einmal
selbst daran versucht. Erst waren Hacı und seine Frau dagegen gewesen,
aber als er darauf bestand, hatten sie neugierig zugesehen, wie der Herr aus
der Großstadt sich dabei anstellte. Bald schon mussten sie zu Hilfe eilen, weil
Ömer über die ruckelnde Kuh fluchte und über den Eimer, der einfach nicht unter
dem Euter bleiben wollte. Wenn Ömer an diesen Reinfall zurückdachte, sagte er
sich: »Die mögen und achten mich!«, aber irgendwie glaubte er selbst nicht
daran. Hacı beherbergte ihn und stellte ihm dreimal am Tag sein Essen hin,
weil er gutes Geld dafür bekam. »Aber immerhin lässt er sich nicht anmerken,
dass er es nur wegen des Geldes tut! Schön, dass ich das so sehen kann! Nach
allem, was hinter mir liegt, haben diese Wochen hier in der Natur mir gutgetan.
Ich sehe und ich erlebe etwas!« Nunmehr ganz wach, stieg er aus dem Bett und
ging barfuß zum Fenster. Bewusst leise öffnete er das Fenster und atmete tief
durch.
    Die Sonne war längst aufgegangen und
würde bald durch die Bäume hindurchscheinen. »Wie schön hier alles ist und wie echt!
Hier lässt sich nichts verbergen. Alles ist hier genau so, wie es sein muss!«
Er verspürte den Wunsch in sich, etwas zu tun, ja irgend etwas kurz und klein
zu schlagen, so wie er das früher immer genannt hatte. »Man müsste jeden Morgen
hier

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