Cevdet und seine Soehne
seiner Mutter das nicht zu sagen. Die Kadetten ließen immer noch ihre
Uniformen bei dem Fotografen, teils aus Gewohnheit, teils weil Muhittin sich
gern mit einer Aura des Geheimnisvollen umgab.
»Na? Ach Junge, warum behältst du
nur immer alles für dich?« Muhittin nahm schweigend das Tablett auf und ging
hinaus. Ihm fiel ein, er könnte die beiden überraschen, wie sie seine Bücher
inspizierten. Ohnehin ging er sehr behutsam, um den Mokka nicht zu verschütten.
Als er vor der Tür stand, hörte er sie reden, und neugierig lauschte er.
»Da, schau, Apollinaire hat er
auch!«
»Tatsächlich! Und wir kriegen das
nicht hin mit dem Französischen …«
»Hier, Tevfık Fikret!«
»Zeig her!«
»Da, was er alles unterstrichen hat!
So wie wir!«
»Was denn zum Beispiel, lies vor! Da
aus dem Gedicht ›Alte Geschichte‹!«
»›Auf einen Sieger zehn Besiegte
/ Dem Unterdrücker alles Recht …‹«
»Was hat er noch unterstrichen?
Blätter um!«
»›Die deutlichste Weisheit: Wer
nicht herrscht, wird beherrscht!‹ Da noch was: ›Was ist schon Heldentum:
Grausamkeit und Blut …‹ War Tevfık Fikret etwa Pazifist?«
»Na klar! Aber warum hat Muhittin
das alles unterstrichen?«
»Als Kritik daran!«
»Nicht so laut, sonst hört er uns!
Was heißt hier Kritik? Vor einem halben Jahr war er doch selber noch so!«
»Wie war er? Schau mal, Dostojewski,
auf französisch.«
»Pst!«
»Warum hast du ihm das mit dem
Albaner gesagt? Jetzt ist er sauer auf mich!«
»Wenn du weiter so plärrst, ist er
gleich wieder sauer!«
»Ach, ich hab’s satt! Immer sind
alle sauer auf mich … Da, Baudelaire! So etwas würde ich gerne schreiben und
nicht immer diese Heldengedichte!«
»Sei still, Dummkopf!«
Da sah Muhittin den Moment gekommen,
und ohne sonderlich auf den Mokka zu achten, platzte er ins Zimmer. »Was redet
ihr da?« Turgay stand errötend vor dem Regal mit den Baudelairebänden. »Was
hast du da in der Hand?« fuhr Muhittin ihn an. »Baudelaire? Gefällt dir der
etwa?«
Turgay wurde noch röter. Er
vollführte eine verlegene Geste, als wollte er das Buch irgendwie verbergen.
»Auf den hast doch du uns erst gebracht!« Er stellte das Buch zurück wie etwas
Giftiges.
»Da habe ich mich eben vertan!« rief
Muhittin. »Aber was willst du auch mit Baudelaire anfangen, bei deinem bisschen
Französisch!« Er zündete die im Aschenbecher verbliebene Zigarette wieder an.
»Da, nehmt euch euren Kaffee! Ihr könnt eurem Gott danken, dass ihr noch nicht
durch Bücher verdorben seid! Hätte ich nicht rechtzeitig eingegriffen, wärt ihr
bald verloren gewesen. Begreift ihr, was ich meine? Ihr wärt armselige
europäisierte Soldätchen geworden, nicht mal richtige Soldaten. Ich weiß
schließlich, wie man sich durch ständiges Lesen das Gehirn vergiften kann!« Um
keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, fügte er eilig hinzu: »Und zwar
weiß ich das von Refık, den ihr letzten Herbst kennengelernt habt. Der ist
nach Kemah gegangen, hat gelesen und gelesen und schließlich was zusammengekritzelt.
Letzte Woche habe ich ihn gesehen, und er ist immer noch der gleiche willenlose,
prinzipienlose und vor allen Dingen ziellos dahintreibende türkische
Intellektuelle … Oder vielmehr ein in der Türkei lebender europäischer
Intellektueller. Versteht ihr?« Er sah Turgay wieder scharf an und freute sich,
dass der rot wurde. »Versucht nicht, mir etwas zu verheimlichen, ich weiß
sowieso, was ihr denkt! Der Teufel der Kultur wird stets darauf aus sein, in
euch hineinzufahren und euch das Gehirn auszuhöhlen. Stellt euren Verstand
lieber in den Dienst von Begeisterung, Gefühl und Glauben! Ich kann es nicht
oft genug sagen!«
»Du hast ja recht!« sagte Barbaros.
Er sah auf das Bild von Nişancı
Haydar.
»Das war mein Vater! So wie der
müsst ihr werden! Er war durch und durch Soldat. Er hat gekämpft und gelebt,
dann ist er gestorben. Ziel hatte er allerdings keines, und so war er auch
nicht im Unabhängigkeitskrieg. Ihr dagegen habt ein Ziel! Also verliert keine
Zeit! Die Lage ist günstig. Bis die neue Zeitschrift herauskommt, müssen wir
unsere Zeit gut nützen und arbeiten. Wenn Mahir Altaylı bei der neuen
Zeitschrift wieder so unnachgiebig ist, werde ich mich nach anderen Optionen
umsehen. Und eine davon könnte Gıyasettin Kağan heißen! Ich habe eine
Lobeshymne auf ihn geschrieben, aber er ist auch tatsächlich ein bedeutender
Mensch. Auf diese Weise könnten wir Mahir Altaylı loswerden. So, und fangt
mir
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