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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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Heimkehr hatten sie Meinungsverschiedenheiten gehabt und sich die
beiden anderen Male dann mehr oder weniger angeschwiegen. Refık wollte das
alles vergessen. »Na, was machst du denn so?« fragte er, aber zugleich
fürchtete er, von Muhittin zu konkret zu erfahren, mit wem dieser zusammen war
und womit er sich beschäftigte. »Warum kannst du nicht länger bleiben? Wo
willst du hin?«
    »Nach Beşiktaş, in die
eine Kneipe, zu meinen Kadetten.«
    »Was treiben die so?«
    »Ach, denen geht’s gut! Aber wie
steht es mit dir? Neulich habe ich Nurettin gesehen, der hat erzählt, er hat
dich beim Fußball getroffen; du sollst ziemlich zerstreut gewesen sein. Da habe
ich mir gedacht, ich schau mal vorbei. Der
wird doch nicht wieder eine Krise haben!«
    »Insgesamt geht es mir gut!«
erwiderte Refık gerührt.
    »Und im speziellen?« Muhittin stand
auf und sah sich das Buch auf dem Schreibtisch an. »Hölderlin liest du? Den
habe ich mir auch mal angesehen, aber gepackt hat er mich nicht. Weißt du,
seelisch sind diese Europäer ganz anders veranlagt als wir. Und der hier ist noch
dazu ein Verehrer der Antike. Die sind uns fremd, damit können wir nichts
anfangen. Die bringen uns nur durcheinander.«
    »Es gibt aber soviel zu lernen von
denen!«
    »Als da wäre?«
    Obwohl Refık von dem jüngst Gelesenen
selbst nicht ganz überzeugt war, hatte er doch das Gefühl, es gegenüber
Muhittins herausfordernden Blicken verteidigen zu müssen. »Was die Antike und
die Renaissance bedeuten, dass müssen wir lernen!« Ohne Muhittin direkt
anzusehen, setzte er hastig hinzu: »Die Kultur der Renaissance … Das Licht
der Aufklärung, das wir brauchen, um bei uns Barbarei und Despotentum zu
bekämpfen!«
    »Hört, hört! Du bist mir ein kleiner
Europäer geworden! Du nennst uns also Barbaren?«
    Refık dachte: »Nein, so hatte
ich es gar nicht gemeint! Aber wenn ich diesen aggressiven Blick sehe, dann
habe ich Lust, es so auszudrücken!«
    »Und ich bin dann also auch ein
Barbar? Ich bin Türke, bin Nationalist und sage das auch, was hältst du also
von mir?«
    »Ich weiß nicht. Ich kann dazu
nichts sagen. Ich suche noch …«
    »Du wirst mir zum Europäer! Sowieso
wird das jeder, der sucht. Anstatt zu suchen, solltest du fühlen! Du weißt ja,
dass ich nicht mehr der alte Muhittin bin, und du solltest dich auch mal ein
bisschen ändern, denn seit ungefähr fünf Jahren kaust du auf den gleichen
Sachen herum. Lass endlich diese müßigen Diskussionen!« Er zeigte auf die
Bücher in den Regalen. »Du liest immer noch, um herauszufinden, was man im
Leben machen soll, was?«
    »Ja, das tue ich …«
    »Du wirst immer mehr zum Europäer
und verlierst dabei den Boden unter den Füßen!« Muhittin sah streng in
Refıks betretenes Ge sicht. »Ich würde dich ja liebend gerne noch länger
piesacken, aber ich kann jetzt nicht. Die Zeiten haben sich geändert …« Er
stand schon an der Tür. »Weißt du eigentlich, was es bedeutet, sich in der
heutigen Welt mit solchen Dingen zu befassen und solche Ansichten oder besser
gesagt Ansichtslosigkeiten wie die deinen auch noch öffentlich zu verbreiten?«
    »Das tue ich doch gar nicht!«
    »Ein Buch hast du immerhin schon
geschrieben! Obwohl, viel Schaden hast du damit nicht angerichtet!«
    Erfreut darüber, dass Muhittin sein
Buch gelesen hatte, hätte Refık ihn am liebsten nach seiner Meinung dazu
gefragt, doch Muhittins finstere Miene ließ ihn davon Abstand nehmen.
    »Du willst also ständig tagsüber in
der Firma dem Geld hinterherlaufen und dann abends und am Wochenende dem Sinn
des Lebens?« Muhittin ließ noch einen letzten Blick durch das Zimmer schweifen
und sagte im Hinausgehen: »Du machst Geschäfte, du liest, du benebelst dir mehr
und mehr den Verstand und lebst weiter in diesem Haus, in dem seit Jahren die
Uhr da nervtötend tickt. Wie geht es eigentlich deiner Frau und deiner
Tochter?«
    »Gut!« antwortete Refık und
ging hinter Muhittin die Treppe hinunter.
    Muhittin nickte, als dächte er
dabei: »Wie soll es denen sonst gehen?« Dann verabschiedete er sich so
gedankenverloren, wie Refık ihn gar nicht kannte.
    Überzeugt davon, dass Muhittin schon
gar nicht mehr an ihn dachte, sah Refık ihm kaum hinterher. Er fürchtete,
das Ticken der Uhr nun bewusst wahrzunehmen, und setzte sich daher erst zu
seiner Mutter ins Wohnzimmer. Diese erklärte, zwischen Ayşe und Remzi
werde es allmählich ziemlich ernst, und sie fragte Refık, was er dazu
meine. Refık sagte nur, man solle die

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