Cevdet und seine Soehne
und schon waren Sie Feuer und Flamme! Sie unreifer
Junge, Sie!«
Muhittin dachte: »Er ist einen
Schritt hinter mir und rückt mir zu dicht auf den Leib.«
Eine Tür ging auf, und ein junger
Mann mit einem Teetablett kam heraus.
»Wir brauchen keinen Tee! Unser Gast
geht gerade«, rief der Hausherr.
Da drehte Muhittin sich um: »Sie
irren sich! Mein Vater war ein vorbildlicher Mensch!«
Gıyasettin Kağan öffnete
die Haustür. »Ich mag mich irren, was Ihren Vater angeht, aber bei Ihnen nicht!
Leute wie Sie kenne ich zur Genüge. Für ihren Stolz und ihre Intelligenz würden
sie alles tun!«
»Ach, was Sie nicht alles wissen!«
Muhittin versuchte sich in Spott zu retten.
»Eine ganze Menge weiß ich! Und vor
allem weiß ich, dass mit Leuten wie Ihnen nicht zu arbeiten ist!« Er steckte
die Hände in die Taschen.
»Schon gut!« murmelte Muhittin und
wandte sich um. In ein paar Schritten war er durch den Vorgarten. »Bestimmt sieht
er mir nach! Soll ich mich umdrehen? Ach, wozu!« Er trat auf die Straße und
marschierte los.
Es dämmerte allmählich. Die
Pflasterstraßen von Üsküdar waren voller Leute, der Himmel wolkenlos. Muhittin
sah ein paar Möwen dahinfliegen. »Was ist da bloß passiert? Gerade vorhin war
ich noch im Paradies, jetzt bin ich in der Hölle! Warum bin ich aus dem
Paradies vertrieben worden? Meine Papiere waren wohl nicht in Ordnung. Wie
lächerlich!« Er musste fast lachen. »Ich sollte mir im Rathaus bescheinigen lassen,
dass ich nicht intelligent bin!« Eine Möwe kam im Tiefflug herangesegelt, stieß
einen Schrei aus und drehte ab. »Bald regnet es. Regen … Diese Welt … Ich
bin aus dem Paradies vertrieben worden … Warum?« So bald würde er darüber
nicht hinwegkommen, das ahnte er schon, aber er riss sich zusammen. »Warum
regte er sich denn so auf, der alte Kerl? Ist er verrückt geworden? Was war da
eigentlich los?« Er ging auf die Anlegestelle zu. »Was war das bloß? Regt sich
über das mit dem Hühnerzüchten auf! Dass die Jugend ihn nicht achtet, verträgt
er nicht. Aber war es nur das? Nein! Ihn hat auch die Lobeshymne geärgert, die
ich vor Monaten geschrieben habe. Er hat wohl begriffen, dass sie nicht ernst
gemeint war. Warum hat er dann nicht davon geredet?« Betroffen blieb er stehen.
»Er weiß alles! Mahir hat ihm alles über mich erzählt! Dabei sind sie doch
zerstritten! Oder ist dieser Streit nur fingiert? Aber was Mahir so gesagt hat,
kann doch nicht alles nur gespielt sein? Warum haben wir ihn dann so gelobt? Nein,
nicht wir haben das gemacht, sondern ich allein! Sie haben mich angestiftet zu
dieser Lobhudelei! Mich als Bauernopfer verwendet!« Er stutzte. »Was ist da
bloß los? Alles nur wegen diesem Freud! Warum habe ich auch
den Mund nicht halten können? Aber nein, das ist ein abgekartetes Spiel! Die
treffen sich heimlich, und ich werde zwischen den Fronten zerrieben! Oder Mahir
hat mich auf die Probe gestellt, und ich habe sie nicht bestanden! Ach!« Er
kaufte sich eine Fahrkarte und wollte gar nicht weiter nachdenken, aber die
Gedanken ließen ihn nicht los. »Regelrecht rausgeschmissen hat er mich, der
Alte! Und irgendwie hat er sich zu Recht aufgeregt! Weil ich nämlich zu frech
geworden bin und ihn verspotten wollte. Hühner züchten! Da sind ihm ganz schön
die Gesichtszüge entgleist. Und jetzt bin ich draußen aus allem. Und warum? Zu
frech gewesen und zu eingebildet auf meine Intelligenz!« Er erinnerte sich
zurück an den Tag, den er im Sommer in Refıks Haus verbracht hatte, an die
Diskussionen damals. »Von dem, was ich Ömer seinerzeit gesagt habe, habe ich
nichts verwirklicht! Rausgeschmissen haben sie mich. Und bald wird das auch
Mahir wissen. Mein Gott, was soll ich bloß machen? Wie soll ich nur
weiterleben? Jedem werden sie es brühwarm weitererzählen! Etwa wie ich Mahirs
Tochter angestarrt habe!« Letzteres hatte er doch nur gemacht, um sich in
Mahirs Haus zu behaupten. »Und mein Vater soll Alevit gewesen sein! Lüge! Nur
weil er Haydar hieß … Und ich habe ihn als vorbildlichen Menschen
dargestellt, dabei habe ich mir doch früher geschworen, nur ja nicht zu werden
wie er! Was ist nur aus dir geworden, Muhittin?« Er zündete sich eine Zigarette
an. Bald darauf kam ein Jugendlicher und zündete sich seine Zigarette an der
Muhittins an. »Wie alt ist der? Vielleicht achtzehn? Das hat er sich bei
anderen abgeschaut! Ich habe mir früher die Zigaretten auch gern so angezündet.
Jetzt bin ich ganz schön alt geworden.
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