Cevdet und seine Soehne
Sie
mir eigentlich zu?«
Muhittin trat vom Fenster zurück.
»Jaja, ich höre zu!«
»Tun Sie das! Also, was ist der
Unterschied? Ich sage, wir sind keine Faschisten, weil wir Türken sind. Er ist mir
böse, weil ich nicht offen genug bin. Aber das ist nicht der echte Grund.
Können Sie mir folgen? Ich glaube, Sie verstehen mich gar nicht!«
Muhittin dachte wütend: »Für wen
hält er sich eigentlich?«
»Aber Mahir ist nicht dumm. Er ist
sogar recht intelligent. Für kluge, geschickte Leute habe ich auch dann etwas
übrig, wenn sie meine Feinde sind. Und er ist nicht mal mein Feind. Sagen Sie
ihm das!«
»Ich denke nicht, dass ich ihn noch
mal sehen werde!«
»Doch, doch! Sie vertragen sich
schon wieder! Wir sind insgesamt so wenige, wir raufen uns schon zusammen!«
»Der Meinung bin ich nicht, sonst
wäre ich nicht gekommen!«
Gıyasettin Kağan blinzelte
aus seinen kleinen alten Augen. Fast liebenswert sah er so aus. Behende wie ein
Kind stand er auf und ging auf Muhittin mit einer Miene zu, die besagte: »Na,
dann tu ich mal so, als ob ich dir glauben würde!«
»Ich möchte noch einmal betonen,
dass ich mit denen keinen Kontakt mehr möchte!« sagte Muhittin.
»Schon gut!« erwiderte
Gıyasettin Kağan lächelnd. »Wenn Sie das nicht möchten, dann will ich
Ihnen das gerne glauben!« Er stand vor Muhittin. »Sie gehen also nicht mehr
hin? Hm, er geht nicht mehr hin zu Mahir!« murmelte er. Nach einer Pause fügte
er hinzu: »Was reden sie denn so über mich?«
Muhittin wusste genau, was er
meinte, und fragte doch zurück: »Wer denn?« Er war irgendwie froh über diese
Frage und sah Gıyasettin Kağan aufmerksam an.
»Na, die eben, Mahir und seine
Leute!«
»Nichts Gutes!«
»Na sagen Sie schon, was denn?«
Muhittin tat so, als zierte er sich.
»Den habe ich wohl überschätzt!« dachte er.
»Berichten Sie schon!«
»Nun ja, die sagen, Sie glaubten an
Schädelvermessungen.«
»Pah, und wennschon! Dazu stehe ich!
Weiter!«
»Sie denken, dass Sie ganz allgemein
auf dem Holzweg sind.«
»Unwichtig! Was sagen sie über mich selber, über mich
als Menschen?«
»Ach, wissen Sie, wir werden jetzt
gemeinsam für die Zeitschrift arbeiten, da haben solche Dinge doch keine
Bedeutung mehr. Wir haben mit denen gebrochen!«
Gıyasettin Kağan sah
Muhittin durchdringend an. »Du Schlaukopf!« schien er zu denken. Er schüttelte
langsam den Kopf und wandte sich dann von Muhittin ab. Er nahm eine Zigarette
vom Tisch, zündete sie an und fragte dann beinahe flüsternd: »Und die jungen Leute,
die er um sich hat, haben die noch Achtung vor mir?«
»Die sagen, dass Sie bloß noch
Hühner züchten!«
Gıyasettin Kağan verzog
schmerzlich das Gesicht. Wie von unsichtbarer Hand bewegt rutschten ihm die
Wangen nach oben, während ihm das Kinn herunterklappte.
Muhittin dachte: »Ich weiß, ich
weiß, das macht wieder mal furchtbar Spaß, aber ich sollte es bleibenlassen!
Warum habe ich das bloß gesagt? Ich schaufle mir mein eigenes Grab!«
»Soso, Hühner? Ich bin also alt
geworden? Alt und kraftlos? Das ist doch gemeint, oder?« Statt auf die Urheber
jener Worte schien er auf den Überbringer wütend zu sein.
»Beachten Sie das doch gar nicht!«
sagte Muhittin und dachte doch insgeheim: »Mehr macht ihm das nicht aus?«
»Wer genau behauptet das? Mahir? Der
hat doch alles mir zu verdanken!«
»Wir alle haben Ihnen alles zu
verdanken«, sagte Muhittin und setzte sich wieder hin, war aber befremdet, dass
Gıyasettin Kağan seinerseits nicht wieder Platz nahm. »In dem Artikel
über Sie habe ich das auch aufgeführt!«
»Sagen Sie mal, wenn man als
Grundlage des Türkentums die Geschichte hernimmt, was bleibt dann noch für ein
Unterschied zum Türkentum der Regierungspartei und ihrer Volkshäuser?«
»Ganz meine Meinung!«
»Außerdem ist jetzt Krieg, und wenn
der eine neue Welt hervorbringt, dann müssen wir auch neue Dinge sagen. Es hat
doch keinen Sinn, das von den Volkshäusern propagierte Türkentum einfach zu
wiederholen, oder? Sagen Sie denen das!«
»Aber ich will doch mit denen –«
»Stimmt, haben Sie gesagt!«
erwiderte Gıyasettin Kağan, und mit einem Lächeln, das Muhittin nicht
zu enträtseln vermochte, setzte er sich wieder hinter seinen Schreibtisch,
blickte auf die Papiere, die er vor sich hatte, auf die Bücher und dann auf die
Uhr. »So, wie lässt sich also der Grund für Ihren Besuch zusammenfassen?«
Überrascht von diesem offiziellen
Ton, sagte Muhittin, als klagte er einem
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