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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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murmelte Nigân.
    »Wir haben eine Wohnung besichtigt!«
verkündete Refık.
    »Um vor uns davonzulaufen!« klagte
Nigân.
    Refık tätschelte seiner Mutter
über den Tisch hinweg die Hand. »Wie kannst du nur so was denken!« Dann gingen
die beiden hinauf, um sich frisch zu machen.
    »Wie ist der Junge nur so geworden?«
fragte Nigân.
    »Mutter, es geht uns doch gut, sehr
gut sogar, Gott sei Dank! Wir sind alle gesund, die Firma gedeiht, warum
beklagst du dich eigentlich?« Ungehalten bemerkte Osman, wie nervös er mit den Beinen
herumrutschte. Um vom Thema abzulenken, begann er dann eine lustige Begebenheit
aus dem Büro zu erzählen, und als ihm einfiel, dass er die bereits zum besten
gegeben hatte, sagte er nur noch, der Fisch schmecke vorzüglich.
    »Wann beginnt eigentlich der
Ramadan?« fragte Nigân.
    »Am fünfzehnten Oktober!«
    »Dann haben wir einen Monat später
den fünfzehnten November.« Zu Ayşe gewandt, sagte Nigân: »Du verlobst dich
also zwischen Zuckerfest und Opferfest? Wenn es da Orangen gibt, soll Yılmaz
uns sein Orangenkadayıf
machen! Geht das auch mit Mandarinen?« Refık und Perihan kamen herein. »Wo
bleibt ihr denn? Der Fisch wird kalt!«
    »Das arme Ding hat geweint!« sagte
Perihan. Sie hatte Melek auf dem Arm. »Komm, setz dich da rein!« Sie setzte das
Mädchen in den Hochstuhl, in den es kaum noch hineinpasste, und nahm neben ihr
Platz.
    Refık sagte: »Wir haben eine
schöne Wohnung in Cihangir gefunden! Die mieten wir ab Oktober!«
    »Das ist so ein Neureichenviertel!«
murrte Nigân.
    »Eine Wohnung mit Blick auf den
Bosporus, Mama! Und mit Zentralheizung. Nagelneu, große Fenster, viel Licht,
makellose Wände …«
    »So, mit dem Fisch bin ich fertig!«
sagte Osman. »Was gibt’s zum Nachtisch?«
    »Der ist ja auch noch ein Kind!«
rief Nigân und musste lachen.
    »Na, ich habe eben Hunger!« stimmte
Osman in die Fröhlichkeit ein. Er dachte: »Wir haben es doch gut! Ich liebe
diese Sonntage! So, es ist zwanzig nach eins. Jetzt muss ich bloß noch kurz im
Club vorbeischauen!«
    »Ihr kommt uns aber oft besuchen, ja?«
bat Nigân. »Ich möchte doch meine kleine Melek sehen! Eine Woche nach Cevdets
Tod ist sie gekommen und hat mich getröstet!«

59
  ZUSAMMENBRUCH?
    »Schon sehr interessant, dass Sie Ingenieur
sind!«, sagte Gıyasettin Kağan.
    »Warum das?«
    »Na ja, ein Ingenieur, der vor allem
an sein Volk denkt!« staunte der alte Professor. Er dachte wahrscheinlich an
sich selbst.
    »Sie meinen, weil Ingenieure alles
vernachlässigen, was sich nicht exakt messen lässt?« fragte Muhittin.
    »Genau, alles Unexakte!« Etwas
verlegen sagte er dann: »Meine Abstammungstheorie finden die wohl auch zu
wissenschaftlich und zu exakt?«
    »Wer?«
    »Na die eben! Ihre alten Freunde!
Mahir Altaylı und seine Leute, die die Abstammungstheorie mit ihrer
sogenannten Rassenpsychologie verwässern!«
    »Ach so, ja!« erwiderte Muhittin
nickend und zog die Augenbrauen hoch, als erführe er gerade eine überraschende
Neuigkeit. Er war in das Haus Gıyasettin Kağans nach Üsküdar gekommen
und hatte näher ausgeführt, was er dem Mann zuvor am Telefon schon angedeutet
hatte, nämlich dass er mit Mahir Altaylı und den Seinen nicht mehr
zusammenarbeiten könne und liebend gerne die Zeitschrift Altınışık, die
ja auf seinen Namen laufe, mit ihm, dem verehrten Professor, weiterführen
würde.
    »Sie haben aber Ihre alten Freunde
schnell vergessen!«
    »Nein, habe ich nicht!« Muhittin
stand auf und ging auf das Fenster des mit Büchern gefüllten Raumes zu.
    »Die werden auch Sie nicht so leicht
vergessen! Sie werden sich ja vorstellen, dass die eine Wut auf Sie haben!«
raunte Gıyasettin bedeutungsvoll.
    »Das ist mir egal!« Muhittin sah aus
dem Fenster in den gepflegten Garten des alten Konaks hinaus. Zwischen den
Blättern der Obstbäume sah er einen Hühnerstall.
    »Sie machen ja einen recht eifrigen
Eindruck! Pah, Rassenpsychologie sagen die, noch dazu auf deutsch! Kann einer
von denen das überhaupt richtig aussprechen?«
    »Mahir kann Deutsch.«
    »Deutsch … Alles übernehmen sie
von den Deutschen. Und wir werden deshalb Faschisten genannt. Wir sind aber keine
Faschisten, sondern türkische Nationalisten!« Er wurde sehr laut. »Das habe ich
dem auch gesagt, aber er hat gemeint, das sei nur eine Finte und nicht mein
wahres Denken. Aber was soll es denn für einen Unterschied zwischen dem wahren
Denken und dem geben, was man sagt und tut? Wahr ist, was ich mache! Hören

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