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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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September
    Ich packe meine Bücher in Kisten und
verliere viel Zeit dabei, weil ich ständig herumblättere. Vorhin ist mir Der
arme Necdet in die Hände gefallen. So was von dürftig! Ich weiß noch, wie
ich das mit Sechzehn eines Abends voller
Aufregung gelesen, aber mich am nächsten Tag beim Fußballspielen dafür geschämt
habe. An manche Bücher habe ich so gut wie keine Erinnerung. Beim Wegpacken der
Bücher von Hüseyin Rahmi ist mir eingefallen, wie zuwider mir immer seine
Frauengestalten waren. Rousseau dagegen! Ich habe wieder in die Bekenntnisse hineingesehen, aber das ist nun mal kein Buch zum flüchtigen Herumblättern.
Die Kisten sind –
    Gerade ist Perihan gekommen und hat
mich gefragt, ob wir den Schrank mitnehmen können, der vor unserem Zimmer auf dem
Treppenabsatz steht. Ich weiß auch nicht so recht. Die meisten Möbel hier
gehören einfach zum Haus und keinem einzelnen von uns. Es hat sie immer
benutzt, wer wollte. Jetzt wird aufgeteilt in das, was uns und was den anderen
gehört. Wie zum Beispiel dieser Schrank! Er wurde nicht speziell für uns
gekauft, aber wir haben ihn seit jeher benutzt. Eigenes Geschirr haben wir auch
nicht. Meine Mutter ist empört, dass die Sachen aufgeteilt werden. Ihre Blicke
sind ein einziger Vorwurf. Sie bringt aber auch gar kein Verständnis auf. Ich
denke, dass ich im Recht bin, und werde in dem Tagebuch genau darlegen, warum
wir von hier ausziehen!
    30. September
    Wir sind umgezogen. Es ist drei Uhr in
der Nacht. Perihan hat sich schlafen gelegt. Ich bin völlig erschöpft, habe
aber trotzdem Angst, nicht einschlafen zu können, deshalb trinke ich noch etwas
und schreibe das hier. Den ganzen Tag habe ich Möbel geschleppt. Wir werden uns
hier schon eingewöhnen!
    Sonntag, 1. Oktober
    Als ich mitten beim Einrichten war,
ist Yılmaz gekommen und hat mir zwei Briefe überbracht, einen von Osman und
einen von Muhittin. Den von Osman habe ich sofort aufgerissen. Er schreibt
darin, der Brief von Muhittin sei vor zwei Tagen eingetroffen und erst einmal
liegengeblieben. Heute morgen nun sei Muhittin selbst gekommen und habe nach
mir gefragt. Als er von meinem Umzug erfahren habe, habe er seinen Brief
zurückgewollt, was Osman wohl überrascht hat (obwohl er nichts davon schreibt),
jedenfalls habe er sich geweigert, den Brief zurückzugeben,
denn da er nun mal zugestellt worden sei, sei er mein Eigentum! Daraufhin habe
Muhittin nach meiner neuen Adresse gefragt, und selbst die habe Osman ihm nicht
gegeben, um mich vor falschen Freunden zu schützen und weil er Muhittin ganz
einfach nicht möge. Sobald Muhittin gegangen sei, habe er Yılmaz mit den beiden
Briefen zu mir losgeschickt. Er führt dann noch eine ganze Reihe von Gründen
auf, die gegen Muhittin sprechen, etwa Respektlosigkeiten gegenüber unserem
Vater und später auch gegenüber Osman selbst …
    Danach habe ich sofort Muhittins
Brief gelesen. Ein furchtbarer Brief. Da Muhittin vorhin gekommen ist und ihn
zurückverlangt hat (er hat auf der Straße Yılmaz getroffen und von ihm die
Adresse bekommen), kann ich nur aus dem Gedächtnis zitieren.
    »Refık, ich habe beschlossen,
mich umzubringen. Ich wollte das jemandem mitteilen, und da bist Du mir in den
Sinn gekommen. Ich bringe mich nicht etwa deshalb um, weil ich kein guter
Dichter geworden bin (und noch bin ich ja auch nicht dreißig), sondern weil ich
noch nie glücklich war und es auch nie sein werde. Ich bin zum Glücklichsein zu
intelligent.« Das war es im wesentlichen! Es folgten nur noch ein paar Zeilen
über unsere Freundschaft und dass er mir im Leben alles Gute wünschte. Da er
nicht tot war, hielt ich das Ganze für einen Scherz. Nachdem er den Brief
eingeworfen hatte, musste es ihn gereut haben. Und vorhin sagte Muhittin ja
auch, es sei ein Scherz gewesen.
    Er ist also hierhergekommen und hat
gesagt, er habe mir einen Brief nach Nişantaşı geschrieben. Als
er erfuhr, dass ich den Brief bekommen und auch schon gelesen hatte, fragte er
mich, wie ich seinen Scherz denn fände, und lachte. Und was Osman eigentlich
habe, dass er den Brief sofort hierhergeschickt und ihm meine Adresse nicht
gegeben habe? Als ich sagte, ich hätte seinen Scherz eher bestürzend gefunden
und machte mir Sorgen, er könne sich einmal ernsthaft etwas antun, nannte er
mich gleich wieder naiv. Wir beredeten das alles im Stehen, denn er wollte
nicht hereinkommen, obwohl er immer wieder neugierig in die Wohnung lugte. Eben
Muhittin, wie er leibt und lebt. Er beteuerte so

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