Cevdet und seine Soehne
Arzt sein Leid: »Ich möchte beim
Herausbringen von Altınışık nicht mehr mit Mahir Altaylı und seinen Freunden zusammenarbeiten!
Wenn wir zusammen –«
»Wie alt sind Sie denn?«
»Neunundzwanzig!«
»So jung noch! Und Ingenieur sind
Sie … Was machen Sie sonst noch?«
»Sonst noch? Ich kümmere mich um die
Zeitschrift!«
»Und was haben Sie früher gemacht?«
»Auch als Ingenieur gearbeitet …«
erwiderte Muhittin und fragte sich, worauf der Alte hinauswollte.
»Nein, ich meine, Sie haben doch
Gedichte geschrieben, soviel ich weiß?«
»Ja, es gibt einen schlechten Gedichtband
von mir!« sagte Muhittin. Er hatte das Gefühl, dem Mann nicht so recht folgen
zu können.
»Wieso soll der schlecht sein?«
»Weil ich damals noch an nichts
glaubte!«
»Und an irgend etwas muss man also glauben?«
»Nicht an irgend etwas, an das Richtige!«
Muhittin dachte: »Ist der Mann einfach intelligenter als ich?«
Gıyasettin deutete auf die
Zeitung vor sich: »Freud ist gestorben! Was sagen Sie dazu?«
»Wie bitte?«
»Haben Sie es nicht gelesen? Wie
finden Sie den Mann?«
Hin und her gerissen zwischen
Glauben und Intelligenz, sagte Muhittin: »Ich habe was gelesen von ihm!«
Gıyasettin Kağan lächelte
nachdenklich. »Ich habe ihn zufällig kennengelernt in Wien. Um nah am
Orientalischen Seminar zu wohnen, hatte ich mich in der Berggasse 19
eingemietet. Ich wusste, dass im Erdgeschoss ein Institut untergebracht war,
aber nicht, was für eines. Eines Abends teilte mir die Vermieterin mit, der
Professor wolle mich sprechen. Es war Freud. Er bat mich, nach Möglichkeit zu
Hause nur in Pantoffeln herumzugehen, wegen der empfindlichen Geräte in seinem
Institut. Ich hatte eines seiner Bücher gelesen, mich aber nicht damit
angefreundet. So sagte ich ihm, in der Türkei komme es nicht vor, dass ein
siebzehnjähriges Mädchen seinen Vater sexuell anziehend finde oder ein
halbwüchsiger Junge seine Mutter. Da lachte er nur.« Als wollte er Muhittin bei
etwas ertappen, fragte Gıyasettin Kağan unvermittelt: »Was halten Sie
von seiner Lehre?«
»In mancher Beziehung mag er schon
recht haben …«
»Sehen Sie? Sehen Sie? Aus Ihnen
wird nie ein richtiger Nationalist! Wusste ich’s doch!« Er stand auf.
»Wie bitte?«
»Sie glauben gar nicht an das
Türkentum!«
Muhittin erhob sich gleichfalls.
»Was behaupten Sie da?« sagte er gequält.
»Ich denke, dass Sie an gar nichts
glauben, dazu sind Sie viel zu frech und eingebildet! Sie möchten doch nur
herauskehren, wie intelligent Sie sind!« Er ging ein paar Schritte auf Muhittin
zu. Nach einer Pause sagte er mit mechanischer Betonung: »Sie hätten aber
begreifen müssen, dass das einem Menschen wie mir gegenüber eine Beleidigung
ist. Sie haben nur leider nicht an sich halten können. Wer so auf sein
Selbstwertgefühl bedacht ist wie Sie, sollte sich gar nicht erst auf unsere Bewegung einlassen.«
Er runzelte die Stirn. »Mahir hat Ihren Stolz verletzt, und darum kommen Sie
jetzt zu mir, so ist es doch? Und morgen wenden Sie sich einem anderen zu! Los,
machen Sie, dass Sie fortkommen! Ich kenne Mahir gut und unterhalte mich
manchmal mit ihm. Sie sollen seine Tochter unverschämt angestarrt haben!« Er
ging auf die Tür zu.
Auch Muhittin wandte sich zur Tür.
»Ich werde jetzt nicht behaupten, das sei ein Fehler gewesen!«
»Er denkt ja immer noch an sich!«
rief Gıyasettin Kağan und nahm schon den Türgriff in die Hand. »Und
Freud soll also in mancher Beziehung recht haben! Sie wollen wohl zeigen, wie
aufgeschlossen Sie sind! Sie können unmöglich Sohn eines Volkes sein, das mit
dem Schwert in der Hand lebt!« Sein Gesicht schien plötzlich aufzuleuchten. »Ich
habe alles aus Ihnen herausgekitzelt. Hühner also? Warum haben Sie das gesagt?
Sie bilden sich wahnsinnig viel ein, aber ich habe Sie sofort durchschaut!« Er
öffnete die Tür. »Sie einfältiger Kerl, Sie!«
Muhittin trat über die Schwelle und
murmelte nur noch: »Schon gut, schon gut …«
»Wie hieß denn Ihr Vater?«
Muhittin dachte: »Was will er jetzt
mit meinem Vater? Mein Vater war Soldat!« Er ging zur Haustür.
»Wie hieß er gleich wieder? Haydar!
Also ein Alevit!« Gıyasettin Kağan ging Muhittin nach. »Das hat mir
Mahir erzählt. Er kannte Ihren Vater vom Militär her. Soll nicht gerade ein
Mann von Ehre gewesen sein! Jetzt sind Sie verblüfft, was? Mahir hat mir auch
verraten, wie er Sie geködert hat. Er brauchte nur zu behaupten, Ihr Vater sei
ein großer Mann gewesen,
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