Cevdet und seine Soehne
treffen und ein paar Stunden
miteinander verbringen müssen. Was macht jetzt der? Und der? Hacı hat uns
was gekocht, das haben wir gegessen, und vor einer halben Stunde sind wir
herauf in das Zimmer. Warum sind wir bloß gekommen?
2. November
Wir sind mit dem Zug nach Kemah
gefahren und haben uns dort umgesehen. Wir wurden von jedermann angestarrt, vor
allem Perihan. Kinder liefen uns nach. Mit denen im Schlepptau gingen wir zur
Festung hinauf. Das Tor war zu, aber ein Junge zeigte uns ein Loch in der
Mauer. Perihan konnte dort nicht durchklettern, also stiegen wir unverrichteter
Dinge wieder hinab. Als wir zum Bahnhof zurückgingen, schien jeder vor seinem
Haus oder seinem Laden zu sitzen und nur auf uns zu warten, um uns anzustarren.
Perihan sagte immer: »Gehen wir doch da mal hin oder dort, und was ist das da?«
Am Bahnhof mussten wir vier Stunden warten. Der Bahnbeamte sagte: »Gehen Sie
lieber nicht weg, er kann jeden Augenblick kommen, und dann schaffen Sie es
nicht mehr her!« Am Morgen war noch schönes Wetter, am Nachmittag dann nicht
mehr. Übermorgen fahren wir zurück, die Fahrkarten haben wir schon gekauft.
Jetzt am Abend schreibe ich im Schein der Gaslampe.
Ömer hat uns vorgeschlagen, morgen mit ihm nach Erzincan zu fahren, damit wir
seine Freunde dort kennenlernen, aber ich habe abgewehrt: »Nein, lass nur!« Was
hätten wir dort machen sollen? Jetzt allerdings frage ich mich, was wir morgen
den ganzen Tag lang hier machen sollen. Vielleicht entwickelt sich ja ein
Gespräch mit Ömer. Was er hier macht, was er vorhat und so … Ach, das Leben!
4. November, Nachmittag
Wir sind wieder im Zug. Vor einer
Stunde hat Perihan zu weinen angefangen, und ich habe gefragt: »Warum weinst du
denn?«, sie gab aber keine Antwort, und ich wusste ja, was sie hatte, denn mir
war selber zum Weinen. Ich nahm sie in den Arm und tröstete sie. Dann bin ich
aus dem Abteil raus und habe im Speisewagen zwei Plätze für uns gefunden.
Gestern sind wir den ganzen Tag mit
Ömer im Haus geblieben. Ömer wollte mit mir reden, das spürte ich, aber er
genierte sich vor Perihan. So haben wir stundenlang Schach gespielt. Hin und
wieder habe ich gefragt, was er denn so vorhabe und wann er wieder nach
Istanbul komme, aber er ist nie darauf eingegangen. Er sei zufrieden mit seinem
Leben hier, sagte er. Er hat dann Witze gerissen, und wir haben so getan, als
würden wir sie lustig finden. Dann hat Hacı uns wieder was zum Essen
vorgesetzt. Am Nachmittag dann wieder das gleiche. Schließlich hat er Cognac
hervorgeholt! So haben wir getrunken und Schach gespielt. Nach dem Abendessen
dann wieder Schach! Perihan ist schließlich hinauf ins Zimmer gegangen. Ömer
hat zuviel getrunken. »Ich spiele jetzt mal eine Partie, ohne aufs Brett zu
schauen«, hat er dann gesagt. Das hatten wir früher manchmal versucht. Er hat
dem Brett den Rücken zugekehrt, und wir haben ein paar Partien so gespielt;
eine hat er sogar gewonnen. Er hat ständig getrunken, und ich eigentlich auch,
am Schluss war ich ziemlich blau. Ich habe ihn dann noch einmal in aller
Deutlichkeit gefragt, was zum Teufel er dort will, aber er hat nur gespottet.
Dann ist es zu folgendem Dialog gekommen: »Weißt du was von Nazli und Muhtar?«
»Nein.« »Du erinnerst dich doch, wie ich damals bei der Verlobung war?« »Ja,
sehr gut!« »Vergiss das alles! Ich habe das alles vergessen, das Handanhalten,
die Verlobung, sogar die Zeit auf der Baustelle … Und fang bitte auch nicht
mehr vom Studium an!« Dann lachte er. Aber heute morgen, als wir auf den Zug
warteten, hat er selber eine Uni-Anekdote erzählte, wahrscheinlich, weil wir
nichts mehr zum Reden fanden! Gestern abend haben wir noch einmal Schach
gespielt. Ömer hat erzählt, ein Amerikaner habe mal sechs Blindpartien simultan
gespielt. Danach sei er ins Krankenhaus eingeliefert worden. Dann hat Ömer noch
gesagt: »Dieses völlig Vergeistigte, das muss doch das Höchste im Leben sein!«
(Oder so etwas Ähnliches!) Dann waren wir fertig mit der Partie, und ich bin
ins Bett gegangen. Am Morgen ist Ömer mit uns zum Bahnhof. Der Zug hatte
Verspätung, und wir wussten nicht, worüber wir noch reden sollten. Ich habe
noch von Muhittin erzählt, von Cihangir, und Ömer hat genickt. Er werde
bestimmt nach Istanbul kommen, und schreiben werde er mir auch … Dann ist der
Zug gekommen, und wir sind eingestiegen … Ein paar Stunden sind vergangen,
dann hat Perihan angefangen zu weinen.
Warum tut sie das? Weint sie jetzt
immer
Weitere Kostenlose Bücher