Cevdet und seine Soehne
noch? Soll ich sie trösten? Ich sehe zum Fenster hinaus. Berge, Ebenen,
Felsen, Bäume. Was haben die an sich? Wie soll man leben?
Montag, 6. November
Wieder zu Hause. Wir sind nach
Nişantaşı, um Melek abzuholen. Wir haben dort gegessen und
erzählt und sind dann heim.
Dienstag, 7. Novembe
Was habe ich heute gemacht? Firma.
Mit Perihan zu ihrer Freundin Sema gegangen. Deren Mann ist ein interessanter
Mensch. Er hat in Frankreich Wirtschaft studiert und mir Bücher von Marx zu
lesen gegeben. Bin neugierig.
Dienstag, 14. November 1939
Zuckerfest. Mittagessen in
Nişantaşı. Nachmittag zu Hause. Etwas geschlafen. Kann mit Marx
nichts anfangen.
Montag, 27. November
Zu Hause, Firma, Melek, Perihan,
Nişantaşı, ein paar Bücher, Projekte, Projekte, Firma, Firma?
Dienstag, 28. November
Was ist jetzt mit dem Programm für
ein richtiges Leben? Und mit seiner Anwendung? Aber das mit dem Verlag muss ich
unbedingt machen!
Freitag, i. Dezember
Ein Brief aus Amerika, von Herrn
Rudolph … Er schreibt vom Krieg und wieder von Licht und Finsternis usw. …
Ich weiß, dass alles nur Unsinn ist, und dennoch lebe ich weiter.
Samstag, 2. Dezember
Perihan hat gesagt, sie ist schwanger!
Ich kann es gar nicht glauben! Wir haben doch so aufgepasst! Was soll jetzt
werden? Bin ich alt geworden?
Sonntag, to. Dezember
Ich bin dabei, Herrn Rudolph einen
Brief zu schreiben. Jetzt muss ich aber nach Nişantaşı, zu
Ayşes Verlobung. Perihan ist stark erkältet und kann nicht mit … Mein
Leben braucht unbedingt ein Ziel, ich muss ehrenvoll leben. In meinem Brief an
Herrn Rudolph geht es wieder um das gleiche Dilemma: Finsternis, Licht? Trotz
allem bin ich glücklich und danke der Natur, dass ich leben darf!
Zehn Minuten später: Nein! Alles ist
so sinnlos. Ich werde niemandem einen Brief schreiben. Am liebsten würde ich
für immer schweigen, aber ich weiß, dass ich das nicht kann. Weil ich ein
Dummkopf bin.
61
EIN SPEKTAKEL
Ayşe öffnete die Tür und betrat die
Küche. »Die sind schon wieder an der Arbeit!« dachte sie. »Ach, wenn wir die
nicht hätten!«
»Ayşe, heute dürfen Sie aber
nicht in die Küche rein!« sagte Emine.
»Warum denn? Ich kann doch helfen! Soll
ich Orangen schälen? Für den Kadayıf?«
»Nein, heute rühren Sie mir nichts
an! Ach, wenn ich mich verloben würde! Was hätte ich da Angst um mein Kleid!
Schau nur, wie es ihr steht!« Sie wandte sie zu Yılmaz um. »Schau doch nur!«
Yılmaz warf ihr nur einen zaghaften
Blick zu, als hätte er Angst, er könnte sie plötzlich anstarren.
Am liebsten hätte Ayşe gesagt:
»Schau nur, heute darfst du!«, aber sie lächelte nur. »Sie mögen mich! Alle
mögen mich! Da stehen sie in der Küche und kochen so feine Sachen für unsere
Gäste. Schön warm ist es in der Küche … Da draußen unser Garten! Ich geh mal
rüber zu den anderen!« Sie stieg die paar Stufen zum Wohnzimmer hinauf. »Zu wem
soll ich? Ich kann zu jedem gehen, ein paar Worte wechseln, lachen … Dort
werden Fotos gemacht. Also gehe ich auch zu Atiye.«
»Wartet, wartet, da kommt sie!«
rief Güler und rückte für Ayşe ein wenig zur Seite.
Ayşe ging auf das Grüppchen zu
und dachte: »Jetzt werden wir fotografiert. Zu dritt werden wir im Sessel
sitzen, Leylâ, Güler und ich!
Hinter uns stehen Osman, Fuat und Onkel Sait. Jahre später werde ich das Foto
dann anschauen!«
Der Blitz leuchtete auf. »Noch
eins!« sagte Atiye. »Remzi, stellen Sie sich doch dazu!«
Ayşe dachte: »Er ist ein
richtiger Mann jetzt!«
Nach dem zweiten Foto stand
Ayşe wieder auf. Vor dem Perlmuttzimmer unterhielt sich Fuat mit seinem
Busenfreund Semih. Ayşe warf den beiden im Vorübergehen einen Blick zu,
der besagen wollte: »Wenn ihr was zu mir sagen wollt, irgendeinen Scherz oder
so, dann nur zu!« Sie bedeuteten ihr aber nur lächelnd, dass sie Ayşe
voller Freude und Wohlwollen sahen. »Sie
haben mir zugelächelt!« dachte Ayşe. »Mein zukünftiger Schwiegervater Fuat
und der Seifenhändler Semih!«
»Na, hast du dich an den Ring schon
gewöhnt?« fragte Tante ,Sükran, die neben dem Klavier saß.
»Aber ja, Tantchen!«
»Ist sie nicht ein Schatz?« sagte
Sükran zu Semihs Gattin.
Ayşe dachte: »Die kannten sich
also schon! Jeder kennt jeden! Alle sind zusammen und lachen. Ich werde auch
mal so sein wie sie! Ich werde leben!«
»Spielst du noch Klavier?«
»Wenn ich gerade Lust habe!«
»Hör bloß nicht auf, wenn du
heiratest! Mag Remzi Klaviermusik?«
Als Antwort setzte sich
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