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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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also offiziell. Perihan holt schon die Wintersachen aus dem
Schrank. Morgen nachmittag bringen wir Melek zu meiner Mutter. Ich habe Ömer
geschrieben, dass wir morgen losfahren und er sich nicht wundern soll, wenn wir
vor ihm stehen.
    Montag, 3o. Oktober
    Wir sitzen im Zug! Ich benutze einen
kleinen Koffer als Tisch und kämpfe beim Schreiben gegen das Gerüttel an. Wir
werden zwei Tage im Zug verbringen! Ich habe mir vorgenommen, zu lesen und viel
Tagebuch zu schreiben. Perihan liest auch, etwas von George Sand; scheint ihr
aber nicht sehr zu gefallen, denn oft legt sie gähnend das Buch beiseite und
sieht zum Fenster hinaus. Immer wieder luge ich zu ihr hinüber. Es ist angenehm
warm im Abteil, aber die Fenster sind eiskalt. Ich bin vergnügt und rauche.
Perihan sagt, bevor wir uns schlafen legen, soll ich nicht mehr rauchen, und
wir müssen lüften. Was wollte ich gleich wieder schreiben?
    Mir fällt ein, dass weder ich zu Osman
etwas gesagt habe noch Perihan zu Nermin etwas darüber gesagt hat, dass jeder
von den beiden ein Verhältnis hat. Gut, dass wir nach Cihangir gezogen sind,
denn das Leben in Nişantaşı wird immer unerträglicher.
    Warum fahren wir eigentlich zu Ömer?
Weil uns die Luftveränderung guttut. Und damit Perihan etwas von der Türkei
sieht und besser versteht, was für Krisen mich immer wieder packen. Das mit den
»Krisen« hat Muhittin über mich gesagt. Was der wohl jetzt macht? Nach der Sache mit dem seltsamen Brief hat er sich nicht mehr gemeldet. Ich habe zweimal bei ihm im Büro angerufen,
aber entweder er war nicht da oder er hat sich verleugnen lassen.
    Wir kommen durch İzmit. Gut, dass ich mein
Tagebuch mitgenommen habe! Der Bahnhof und viele Fenster sind beflaggt. Am
letzten Nationalfeiertag war ich in Ankara.
    Dienstag, 31. Oktober
    Mittag: Wir warten in Ankara auf die
Abfahrt des Zuges. Vorbeikommende schielen in mein Tagebuch hinein. Perihan
trinkt Tee. Ich habe zu ihr gesagt, dass sie ihren Tee noch immer so süß trinkt
wie ein kleines Mädchen; wir albern herum. Gerade hat sie gefragt: »Was
schreibst du da dauernd?« Ich lasse mir noch einen Tee bringen. Ach, das Leben
ist eine Lust!
    12.30 Uhr. Der Zug ist abgefahren.
Ich lese in der Ulus-Zeitung, die ich mir gerade gekauft habe. Nachrichten vom
Krieg.
    Abend: Ich bin todmüde.
    Mittwoch, 1. November
    Es ist Morgen. Vom Schaffner habe
ich erfahren, dass Sivas schon hinter uns liegt. Perihan ist mit George Sand fertig,
ich lese Anatole France. Divrik! Ich bin kurz ausgestiegen, bis der Schaffner
gepfiffen hat. Beim Anblick dieser Berge werde ich ganz aufgeregt. Ich
unterhalte mich mit Perihan. Wieder hat sie gefragt, was ich schreibe. Jetzt
ist es elf. Ein Tunnel nach dem anderen … Zwölf Uhr. Bald sind wir da. Jetzt
haben wir in Kemah gehalten. Die Burg auf dem Hügel … Und in der Ferne ein
Kuppelgrab … Bis Alp ist es höchstens noch eine halbe Stunde. Ich habe mir
kurz auf dem Bahnsteig die Beine vertreten. Im Gang des Zuges habe ich wieder
das ewig gleiche Schild gelesen: Nicht aus dem Zug spucken. Der Zug ist
losgefahren. Wir packen unsere Sachen zusammen. Wir sind guter Dinge.
    Abend: Was soll ich jetzt bloß
schreiben? Ich habe Ömer gesehen. Perihan und ich denken nur das eine: Wären
wir nur nicht gekommen! Womit soll ich anfangen? Der Generator funktioniert
nicht. Wir sitzen bei Gasbeleuchtung in einem kalten Zimmer und frieren.
    Wir sind in Alp ausgestiegen und
etwa eine Viertelstunde einen schlammigen, leicht verschneiten Weg
entlanggegangen. Ich kannte ja das Herrenhaus noch von früher. Als erstes hat
uns Hacı gesehen, ganz überrascht. Er hat nach Ömer gerufen, und wir sind
hinein. Da saß Ömer neben einem großen Ofen über einer Schachaufgabe. Er war
verdutzt, als er uns gesehen hat. Den Brief hat er nicht bekommen. Wir haben
uns zu ihm gesetzt und uns unterhalten. Ich habe die Sache mit Muhittins Brief
erzählt und dann von Istanbul berichtet, von unserem Umzug und allem. Ömer hat
gesagt, dass er kaum etwas anderes macht, als hin und wieder in Erzincan Poker
zu spielen oder Tavla mit den Bahnbeamten oder eben Schach mit sich selber. Und
dann war es auch schon aus mit dem Gespräch. Er hat uns ein Zimmer herrichten
lassen, da haben wir unsere Sachen abgestellt und sind dann wieder hinunter.
Aus unserem peinlichen Schweigen haben wir uns in Anekdoten aus der Unizeit
geflüchtet. Ömer hat beim Erzählen meistens Perihan angeschaut. Wir sind wie
alte Schulkameraden, die sich nach Jahren zufällig

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