Cevdet und seine Soehne
Kopftuch
heran. Ein Herr im Samtjackett ging in den Kaffeeladen. »Ein Putsch!« dachte
Ahmet. »Dann würde hier alles umgewälzt! Auf einen Schlag würde ganz
Nişantaşı, die ganze Bourgeoisie hier erschüttert!« Er gähnte
ausgiebig. »Ach, wird schon nicht passieren! Das Durcheinander da unten macht
eher den Eindruck, als würde es noch Jahre so weitergehen. Und wenn doch ein
Putsch kommt? Dann wird eben mal einen Tag lang kein Mensch auf die Straße
gehen!« Er dachte an Ziya. »Der mag Nişantaşı genausowenig wie
ich!« Die Linde, an der seine Großmutter so hing, schien ihre nackten Äste bis
zu dem blassen, unentschlossenen Himmel emporzurecken, aber zwischen den
Zweigen hindurch waren noch weitere Apartmenthäuser zu sehen. Ahmet wandte
Nişantaşı den Rücken zu und sah auf die Fenster des
Dachgeschosses. »Was bin ich für einer?«
Er lebte in dieser Dachwohnung, seit
er vor vier Jahren nach seinem »Malereistudium« aus Paris zurückgekommen war.
Nach langen Berechnungen war man damals zu dem Schluss gekommen, was ihm und
seiner Schwester Melek von ihrem Vater her zustehe, habe allerhöchstens den
Wert jener Mansarde, und da Melek dafür keine Verwendung hatte, war eben Ahmet
in die zwei Zimmer eingezogen. Da er so keine Miete bezahlte, sich an den
Heizkosten nicht beteiligen musste und sein Essen meist unten bei seiner
Großmutter einnahm, brauchte er kaum Geld. Er verkaufte hin und wieder ein
Bild, und per Zeitungsanzeige hatte er drei Leute gefunden, die bei ihm
Französisch lernten, und einen Jungen, dem er das Zeichnen beibrachte. »Was bin
ich für einer?« dachte er wieder, aber ohne dabei in Melancholie zu verfallen.
»Ich weiß, was ich tue! Ich will vom Baum der Kunst eine Frucht pflücken; dem
widme ich mein Leben!« Das hatte er zwar nur irgendwo aufgeschnappt, was ihn
nun aber nicht weiter kümmerte. Er beschloss, nach seiner Großmutter zu sehen
und sich dort satt zu essen. Er nahm den Schlüssel an sich und ging hinaus.
Laut dem Arzt war Nigâns Zustand
»altersbedingt«. Es war Ahmet so, als habe er einmal das Wort Arteriosklerose
gehört, aber als er die Treppe hinunterging, merkte er, wie wenig er sich
bisher damit befasst hatte. Begriffen hatte er nur, dass wegen irgendeiner
Geschichte das Gehirn Nigâns nicht hinreichend mit Blut versorgt wurde, so dass
sie oft alles durcheinanderbrachte, Menschen, Orte, Zeiten. Das führte zu
traurigen, manchmal aber auch kuriosen Situationen, und den Urenkeln Nigâns war
denn auch in den letzten Wochen untersagt worden, zu ihrer Urgroßmutter
hochzukommen, da ihnen deren Krankheit schon zu oft Anlass zur Belustigung
gewesen war. Neugierig, wie es ihr wohl ging, sperrte Ahmet die Tür zu ihrer
Wohnung auf und trat ein.
Drinnen hörte er die Wanduhr ticken,
die am anderen Ende des Korridors hing. Er ging gleich in die Küche, um Yılmaz
zu sagen, dass er Hunger hatte, aber die Küche war leer. Durch die Tür zum
Wohnzimmer hörte er ein Lachen. Als er gleich darauf auch Yılmaz lachen hörte,
streckte er den Kopf durch die Tür und erschrak regelrecht: Seine Großmutter
hatte nämlich etwas sehr Seltsames auf dem Kopf, das sich bei näherem Hinsehen
als eines der Häkeldeckchen entpuppte, die auf den Tischchen im Wohnzimmer
lagen.
»Steht Ihnen hervorragend!« rief die
Krankenschwester lachend. »Wie eine Braut sehen Sie aus!«
»Jetzt hört doch auf damit, bitte!«
flehte Emine.
Yılmaz fragte: »Sagen Sie mal, was
halten Sie eigentlich von mir? Mein Vater hat Ihnen dreißig Jahre lang das
Essen gekocht, und nun koche ich Ihnen auch schon seit dreißig Jahren das
Essen. Sind Sie eigentlich zufrieden mit mir?«
Ganz abwesend, als spreche sie mit
irgendwelchen fernen Gestalten, sagte Nigân: »Ja, ich bin mit dir zufrieden.«
»Jetzt hört endlich auf! Ihr seht
doch, was ihr anrichtet!« rief Emine.
»Möchten Sie rauchen?« fragte die
Krankenschwester, und als Nigân nickte, zündete die Frau ihre eine Zigarette an
und reichte sie ihr.
Nigân zog vergeblich an der
Zigarette, die schließlich ausging. Daraufhin blies Nigân in die Zigarette
hinein und murmelte dazu etwas. Yılmaz stieß ein lautes Lachen aus. Die
Krankenschwester zündete die Zigarette wieder an und gab sie Nigân zurück. Da
stand Emine murrend auf, entfernte der Kranken das Häkeldeckchen vom Kopf und
wollte ihr auch die Zigarette wegnehmen, doch dagegen sträubte sich Nigân.
Um auf sich aufmerksam zu machen,
schloss Ahmet die andere Küchentür betont geräuschvoll,
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