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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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hüstelte und trat dann
ins Wohnzimmer. Er war wütend, dachte aber, dass ihm das letztendlich gar nicht
zustand.
    Die Krankenschwester deutete auf die
Zigarette und sagte: »Das tut ihren Nerven gut!«
    »Schadet ihr das nicht?« fragte
Ahmet. »Wie geht es ihr denn?«
    »Besser als gestern!« erwiderte die
Krankenschwester.
    »Soll ich Ihnen was zum Essen
machen?« fragte Yılmaz. Er sah, dass Nigân noch immer an der Zigarette
herumknetete, und sagte lächelnd: »Ach, es ist schon schlimm! Sie sehen mich
hier lachen, Ahmet, aber wenn Sie wüssten, wie es hier drinnen bei mir
aussieht! Was soll ich Ihnen machen? Soll ich Ihnen Eier kochen? Köfte wären
da…«
    »Ja, mach mir Eier! Und tu Joghurt
mit aufs Tablett! Was eben so da ist!« sagte Ahmet und setzte sich zu seiner
Großmutter ans Bett.
    »Gott sei Dank geht es ihr besser
heute!« sagte Emine, die sorgsam das Häkeldeckchen wieder an seinen Platz
legte.
    »Guten Morgen, Oma!«
    »Ach, du bist es? Wo warst du denn?«
murmelte Nigân.
    Als redete er mit einem beschränkten
Kind, betonte Ahmet jede Silbe: »Ich war oben, und jetzt bin ich
heruntergekommen!«
    »Wo ist dein Vater?«
    »Mein Vater lebt doch nicht mehr!«
    Es folgte ein Schweigen. Nigân
überlegte angestrengt und sah dabei Ahmet durch ihre dicken Brillengläser
misstrauisch an. Sie war anscheinend überzeugt, dass er vor ihr etwas verbarg,
und versuchte herauszubekommen, was das sein mochte. »Los, hol deinen Vater!«
forderte sie schließlich.
    Die Krankenschwester sagte brüsk:
»Sein Vater ist doch tot!« und nahm ihr die Zigarette ab.
    »Ach ja, stimmt!« erwiderte Nigân.
»Aber ich bin doch nicht schuld daran?! Er hätte diese Frau nicht heiraten
sollen!«
    Ahmet freute sich über diesen
lichten Moment. »Wie fühlst du dich denn heute?«
    »Ich höre immer dieses Singen im
Ohr!« sagte sie. Zu ihren Beschwerden zählte auch, dass sie andauernd Lieder
aus ihrer Kindheit zu hören glaubte.
    »Die gleichen Lieder?«
    »Die gleichen!«
    Die Krankenschwester sagte: »Dann
singen Sie uns doch eines vor!«, doch als Ahmet sie streng
anblickte, stand sie auf und ging in die Küche.
    Nigân sah ihr hinterher und fragte:
»Wer ist das?«
    »Das ist Zuhal! Die Frau Doktor!«
sagte Emine. Sie ergriff Nigâns Hand, die nervös an der Decke
herumzupfte, und legte sie behutsam zur Seite. Die von den vielen
Infusionen ganz zerstochene und violett angelaufene Hand kam aber nicht
zur Ruhe.
    Ahmet wusste, wie schlecht seine
Großmutter hörte, und sagte deshalb ganz unbefangen: »Isst sie
immer noch nichts? Wie lange braucht sie die Infusionen noch?«
    »Das muss die Krankenschwester
wissen!« sagte Emine.
    Yılmaz kam mit Ahmets Essen herein und
stellte das Tablett auf ein Tischchen. »Möchten Sie auch
Kompott?«
    »Nein, schon gut!« Auf dem Tablett
waren Joghurt, Eier und Köfte.
    »Was redet ihr da?« fragte Nigân.
    »Ich esse jetzt, Oma!«
    »Wo warst du denn?«
    »Ich war oben und habe gemalt!«
    »Ach, dass du dieses Talent hast!«
Nigâns Miene belebte sich. »Dieses Gottesgeschenk! Weißt du das
auch zu schätzen?«
    »Ich denke schon!« sagte Ahmet
erfreut. »Ich male viel!«
    »Die ganze Zeit?« fragte Nigân
misstrauisch.
    »Ja!«
    »Und was ist mit dem Geld? Willst du
nicht einmal heiraten? Bist du immer nur daheim?«
    »Ich gehe schon mal auch auf die
Straße«, entgegnete Ahmet lächelnd.
    »Ich muss wieder mal zur Bank, in
meinen Safe schauen!«
    Ahmet nickte. Die Krankenschwester
kam wieder herein. Yılmaz stand da, mit der Hand auf das
Buffet gestützt, und sah zu Nigân. Jeder schien darauf zu warten, dass
irgend etwas passierte, was man hinterher bereden konnte. Yılmaz fragte Ahmet,
ob die Köfte so richtig seien und ob er nicht doch Kompott wolle. Da hörten sie
plötzlich die Wohnungstür aufgehen, und augenblicklich strebten die Leute an
Nigâns Bett auseinander. An den Schritten erkannte Ahmet, dass Nermin und Osman
kamen.

2
  DAS APARTMENTHAUS IN NİŞANTAŞI
    Osman ging zu seiner Mutter und rief:
»Wie geht es dir, Mama?« Er war kaum weniger schwerhörig als seine Mutter.
    »Wo warst du denn?«
    »In der Fabrik!« Er merkte, dass sie
nicht verstanden hatte. »In der Fabrik waren wir, bei Cemil!«
    Nigân verzog das Gesicht. Als Nermin
sich ihr näherte, sah sie gleich noch misstrauischer drein.
    »Ich bin’s! Erkennen Sie mich
nicht?«
    Nigân fragte Ahmet: »Wer ist das?«
    »Das ist Nermin, Oma! Nermin!«
    »Sie erkennt mich schon wieder
nicht!« sagte Nermin. In den

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