Cevdet und seine Soehne
wie alle anderen. Darum geben
wir ihm auch einen ganz gewöhnlichen Namen: Ahmet! Was er wohl für ein Mensch
wird?« Das Taxi bog in die Straße ein, in der er wohnte. »Na ja, vorbei die
Verlobung! Ich habe Remzi nicht gratuliert, ja mich nicht einmal von ihm
verabschiedet! Ach, was soll’s!« Er bezahlte den Taxifahrer und stieg aus. Als
er Stockwerk um Stockwerk zu seiner Wohnung emporstieg, spürte er sein Herz.
»Alt bin ich geworden!« Vor jeder Wohnungstür versuchte er sich vorzustellen,
was sich dahinter wohl tat, aber er kam nicht weit damit, denn in den meisten
Wohnungen wurde Griechisch gesprochen.
Als er aufsperrte, rief Perihan
gleich: »Du bist schon da?«
»Ja. Wie geht’s dir denn?«
»Gut!« Ihre Stimme klang auch so.
Refık zog ungeduldig den Mantel
aus und ging noch mit Schuhen zu Perihan hinein. »Geht’s dir wirklich gut?« Er
setzte sich zu ihr ans Bett.
»Ich kann mich selber nur wundern«,
sagte Perihan. »Das Fieber scheint weg zu sein!«
Refık küsste sie. »Wo ist das
Thermometer? Miss lieber noch mal!« Er fand das Thermometer und reichte es ihr.
Perihan steckte es in die Achselhöhle.
»Wie war die Verlobung?«
»Ach, wie soll sie schon gewesen
sein! Bloß gut, dass wir hierhergezogen sind. Was macht die Kleine?«
»Vorhin hat sie für sich allein
gespielt. Wer war denn da?«
»Na alle eben. Auch deine Güler.«
»Warum soll das meine Güler sein?«
Refık strich über die Bettdecke
und sagte: »Wenn es ein Junge wird, soll er Ahmet heißen! Und weißt du, was ich
mir gedacht habe?«
»Erzähl doch erst mal von der
Verlobung! Was hatte Ayşe denn an?«
Refık wollte sich nicht die
gute Laune verderben lassen. »Ein Kleid«, sagte er lächelnd. »Ein grünes,
glaube ich …« Er stand auf.
»Du hast ja deine schmutzigen Schuhe
noch an! Zieh sofort deine Pantoffeln an!«
Refık ging hinaus. »Pantoffeln!
« Hatte nicht Ömer zu dem Thema mal was gesagt? »In Nişantaşı
brauchten wir keine Pantoffeln, und hier plötzlich schon!« Er zog die
Pantoffeln an und ging in sein Arbeitszimmer, wo sein Tagebuch aufgeschlagen
auf dem Tisch lag. Er las die letzten Aufzeichnungen, las auch den Brief, den
er an Herrn Rudolph geschrieben hatte, und war von beidem peinlich berührt.
»Ich muss mich sofort an die Arbeit machen. An die Übersetzungen!« Er räumte
Brief und Tagebuch weg und setzte sich an den Tisch.
Von drüben rief Perihan: »Das Fieber
ist weg! Alles ganz normal!« Sie lachte vor sich hin.
Dritter Teil
ZWEITER TEIL
1
EIN TAG BEGINNT
Ahmet reckte sich und sah auf die Uhr:
halb eins. »Ins Bett bin ich um fünf. Macht siebeneinhalb Stunden! Das ist noch
zuviel Schlaf!« Eilig stand er auf und zog gähnend seinen Schlafanzug aus. Beim
Anziehen dachte er: »Ich habe schon wieder die Tür offengelassen!« Das Zimmer
roch nach Leinöl und Gas. Irgendwo hatte er gelesen, Leinöl sei krebsfördernd.
Seit fünf Jahre zuvor sein Vater an Krebs gestorben war, achtete er auf so
etwas. »Ich muss mir aufschreiben, dass ich abends die Tür nicht vergessen
darf!« Das erschien ihm dann doch wieder übervorsichtig. »Eigentlich mag ich
keine so vorsichtigen Menschen, aber wenn die Cholera ausbricht, laufe ich als
erster ins Krankenhaus! Na ja, ich will eben noch lange leben. Meine besten
Bilder werde ich wahrscheinlich erst mit über Fünfzig malen. Goya ist
zweiundachtzig geworden. Picasso malt noch immer. Russell ist erst dieses Jahr
gestorben. Und Shaw, glaube ich, hat gesagt, man soll möglichst alt werden.«
Über die wünschenswerte Dauer eines Künstlerlebens und die Vorteile eines
langen Lebens im allgemeinen hatte er noch einiges andere gehört und gelesen,
aber nun musste er erst einmal auf die Toilette. Unterwegs blieb er vor dem
Bild stehen, das in seinem Arbeitsraum an der Wand lehnte. Er hatte vor kurzem
damit begonnen und wollte an diesem Tag weiter daran arbeiten. Er tupfte mit
dem Finger an die Leinwand und stellte zufrieden fest, dass sie trocken genug
war.
Auf der Toilette ärgerte er sich,
dass er schon wieder barfuß hineingegangen war, dann ging er im Geist seinen
Tagesablauf durch. Da an Samstagen niemand bei ihm Französisch- oder
Zeichenunterricht nehmen wollte, hatte er die ganze Zeit für sich. Am Abend
würde vielleicht İlknur kommen. »Wie es wohl Oma geht?« Seine
Großmutter war in schlechter Verfassung; laut dem Arzt war mit dem Schlimmsten
zu rechnen. Von einer Krankenschwester überwacht, lag sie den ganzen Tag im Bett
und brabbelte vor
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