Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
Vom Netzwerk:
die begreift es
nicht! Ich erzähle es lieber İlknur!«
    »Du hast ja gestrichen hier! Schön
geworden!« sagte Melek.
    »Das Dach war undicht.«
    »Es hat dir also reingeregnet! Wie
in ein richtiges Künstleratelier!« Sie lächelte einschmeichelnd. Die Hand schon
an der Tür, ließ sie ihren Blick noch einmal durchs Zimmer gleiten. Dann sah
sie Ahmet eindringlich an und sagte: »Pass auf dich auf, ja? Entspann dich mehr
und geh ein bisschen aus, dann bist du hinterher wieder produktiver. Ferit sagt
ja auch, was er in elf Mon–«
    »Es gibt einen Militärputsch!«
platzte Ahmet heraus. »Und zwar einen linken!«
    »Einen Putsch?«
    »Onkel Ziya hat es gesagt!«
Aufmerksam sah Ahmet Melek ins Gesicht.
    »Und wann soll das sein?«
    »Schon bald!«
    »Dann darf man doch nicht auf die Straße,
oder? Die sollen ihren Putsch machen, wann sie wollen, aber bitte nicht heute
abend! Und für morgen nachmittag haben wir Kinokarten!« Sie lachte. Dann sah
sie voller Verständnis in Ahmets ernstes Gesicht. »Der soll weg, dieser
Demirel, was? Der dicke Kerl!« Sie lachte wieder, dann sagte sie nachdenklich:
»Es geht auch nicht weiter so. Wo soll das noch hinführen? Neulich, auf dem Weg
zu Mama, bin ich mitten in Nişantaşı von ein paar Typen
belästigt worden. Das darf doch nicht wahr sein, mitten in Nişantaşı!«
    »Was haben sie denn gesagt?«
    Melek machte schon die Tür auf. »Na
ja, so Sachen wie Schätzchen und so. Dabei zieh ich nicht mal besonders kurze
Röcke an. Ferit hat gesagt, ich soll bloß aufpassen.«
    »Erzähl doch dem das von dem linken
Putsch!« sagte Ahmet vergnügt. »Bin neugierig, was er dazu meint.« Er stellte
sich das Gesicht vor, das sein Schwager machen würde. »Und sag ihm, das stammt
aus sicherer Quelle!«
    »Er wird sich freuen, dass du an ihn
denkst!« sagte Melek, küsste Ahmet auf beide Wangen, und schon war sie draußen.
    Ahmet schämte sich ein wenig seiner
Schadenfreude. »Dabei ist er ja Anwalt. Kleinbürgerliches Milieu. Ein Putsch
wäre also nicht mal gegen ihn gerichtet.« Ein dummes Gesicht würde der Schwager
aber doch machen. Letztendlich dachte Ahmet: »Was geht mich das an!« Er ging
wieder auf die Terrasse und sah auf Nişantaşı hinunter. Es ging
noch immer turbulent zu auf dem Platz, die gleiche zwischen Apartmenthäuser
gedrängte Hektik wie früher. Vom anderen Ende der Terrasse her beäugten ihn
misstrauisch zwei Tauben. »Wie spät ist es? Wann kommt İlknur endlich?
Schon vier! Wie die Zeit vergeht!« Er hastete hinein. Im Zimmer lag noch der
Duft seiner Schwester. Er fing wieder an zu arbeiten.

4
  EIN FREUND
    Es klingelte einmal kurz. Ahmet sah auf die Uhr.
»Schon sechs! İlknur! Da ist ja mein Käferchen!« Er machte die Tür auf und
erstarrte. Draußen stand Hasan.
    »Was denn für ein Käferchen?« fragte
Hasan. »Hallo!« Er umarmte Ahmet und küsste ihn auf die Wange.
    »Hallo, wo kommst du denn her?«
    »Ich war bloß in der Nähe, und da
wollte ich mal vorbeischauen«, sagte Hasan. »Was anderes habe ich
aber auch noch im Sinn!«
    Ahmet dachte: »Ein guter Kerl! Na ja, ein Revolutionär
eben!«
    »Setz dich doch!« sagte er.
    »Wenn du auf jemanden wartest oder
zu tun hast, dann bleibe ich lieber nicht!«
    »Ach was, setz dich hin! Reden wir
ein wenig. Man sieht dich ja gar nicht mehr!«
    »Das gleiche könnte ich von dir
sagen!«
    »Willst du Tee?«
    »Gerne!« Er versetzte Ahmet einen
ziemlich heftigen Faustschlag auf den Rücken. »Alles in Ordnung bei dir?«
    Ahmet taumelte etwas unter dem
Schlag, wollte sich aber nichts anmerkenlassen. Während er den kleinen
Gaskocher anmachte, spürte er, wie die Stelle auf seinem Rücken brannte.
    Hasan rief hinüber: »Noch immer die
Malerei, was?«
    »Tja!«
    »Eieiei! Mach schnell den Tee und
komm!«
    Ahmet setzte das Wasser auf und kam
wieder ins Zimmer. Hasan saß rauchend auf einem Hocker, die gestiefelten Beine
weit von sich gestreckt, und besah sich die Bilder. Da reizte es Ahmet, ihn ein
wenig zu triezen.
    »Sag mal, du bist jetzt bald dreißig
und läufst immer noch wie ein Achtzehnjähriger in Parka und Stiefeln und mit
diesem komischen Schnurrbart herum. Du warst schließlich mal auf dem Galatasaray-Gymnasium!
«
    »Ja, aber ich bin trotzdem ein Mann
des Volkes! Nicht so, wie gewisse andere …« Er schwieg eine Weile. »Jedesmal
wenn ich nach Nişantaşı komme, kriege ich wieder einen Hass!
Diese Läden und Boutiquen, die aufgetakelten Weiber! Meine Wut auf die
Bourgeoisie wird da richtig

Weitere Kostenlose Bücher