Cevdet und seine Soehne
die arabische Schrift. Er schloss den Schrank und stand
auf.
»Manchmal packt einen schon der
Überdruss!« sagte die Krankenschwester. »Hätten Sie nicht einen guten Roman für
mich? Da könnte ich mich schön reinlesen und alles vergessen. Sind das die
Bücher Ihres Vaters? War er ein Professor?«
»Tja, wenn ich’s wüsste!« murmelte
Ahmet und ging hinaus. Im Wohnzimmer, das gehörig vollgestellt war, trat er vor
das Foto Cevdets, auf dessen Grundlage er ein Porträt malen wollte. Nun, beim
Betrachten, empfand er das als Projekt ohne rechten künstlerischen Anspruch und
beschloss, es hintanzustellen. Dennoch blieb er noch eine Weile vor dem Foto
stehen und dachte, hinter den Mann sei wohl gar nicht so leicht zu kommen.
»Was machst du da?« fragte ihn
Nermin.
»Siehst du doch«, versetzte Osman,
»er schaut das Foto an! Du solltest wirklich das Porträt bald einmal machen,
Ahmet.«
Lächelnd wandte Ahmet sich um. Er sah
zu seiner Großmutter. Beim Hinausgehen erinnerte ihn Nermin noch einmal daran,
dass er am Abend zum Essen kommen solle. In seiner Mansarde ging er dann das
zuletzt Gemalte durch, wie es nach dem Frühstück seine Gewohnheit war. Dem
Urteil, zu dem er dabei kam, maß er mehr Gewicht bei als seinen Einschätzungen
zu anderen Tageszeiten. Rasch wechselte er von Bild zu Bild. »Das da ist zu
gewollt … Überflüssig. Das da ist gut. Und das da reine Zeitverschwendung;
warum habe ich das bloß gemacht? Bei dem mit den Essenden bin ich auf dem
richtigen Weg. Und bei dem da war ich nur auf platte Wirkung aus. Das da soll
ein bisschen zu sehr zeigen, dass ich mich als türkischer Maler mit der
türkischen Realität befasse; ich mag es aber trotzdem. An die alten Leute da muss
ich mich noch mal ranmachen. Und hier muss die Katze weg; an die Stelle kommt
ein Blumentopf hin. Meine persönlichen Vorlieben dürfen beim Malen keine so
große Rolle spielen! Bei dem da ist ganz klar der Einfluss von Goya zu spüren.
Die Sitzenden da gefallen mir. Und die Fußballserie auch!« Er ließ seinen Blick
noch einmal über alles schweifen, um sich einen Gesamteindruck zu verschaffen.
Dann stellte er sich an das Bild, bei dem er zuvor überprüft hatte, ob die
Farbe schon trocken war, und begann zu
malen. Es war zwei Uhr. Er hatte es geschafft, sich an die Arbeit zu machen,
ohne zuvor auf seine Goyareproduktionen zu sehen. Erfreulich.
3
DIE SCHWESTER
Als es an der Tür klingelte, sah Ahmet auf die Uhr:
Es ging auf halb vier zu. »İlknur!« war sein erster Gedanke, aber die
konnte es nicht sein, denn bis er an der Tür war, klingelte es noch ein
paarmal, und zwar rhythmisch. Er öffnete die Tür. Aus dem Dunkel des Hausgangs
tauchte ein Körper auf, und schon spürte Ahmet weiche, duftende Frauenhaut an
seiner Wange. »Melek!« Er hielt ihr auch die andere Wange hin.
»Na, was gibt’s?« fragte Melek. »Wie
geht’s dir so? Fröhlich siehst du nicht gerade aus!« Sie war schon durchs
halbe Zimmer geschossen und hatte sich prüfend umgeschaut.
»Doch, doch, mir geht’s gut.«
»Ja? Schönes Hemd hast du da an! Wo
hast du das gekauft?«
»Das ist doch ein uraltes –«
»Wie findest du meine Stiefel?«
»Sind die neu?«
»Ja! Hat mir dein Schwager
mitgebracht!«
»Ist der nicht noch im Ausland?«
»Was bist du doch vergesslich,
Ahmet!« rief Melek. Sie betrachtete die Bilder. »Dir hätte er Farben
mitgebracht, aber du wolltest ja keine!«
»Dass er so schnell wieder da ist
…«
»Tja, du hockst nur immer hier
herum! Das da ist schön!«
Neugierig sah Ahmet hin: Es war ein
Bild, das ihm so unwichtig erschien, dass er es zu übermalen gedachte. »Was
gefällt ihr denn daran?« dachte er, aber so erging es ihm oft.
»Die Farben sind toll! Mach doch mal
eins von diesen komischen Bildern, wo man gar nichts drauf erkennt …«
»Du meinst was Abstraktes …«
»Ja, genau! Warum machst du nicht so
was? Dein Schwager sagt, in Europa malen sie jetzt alle so! Woran arbeitest du
gerade? Daran?«
»Ja.«
In ihrer ungenierten Art nahm sie
das Bild von der Staffelei, hielt es sich vors Gesicht, roch daran, drehte es
hin und her und hielt es dann vors Licht.
Ahmet dachte manchmal, die
Objekthaftigkeit von Bildern erfasse niemand instinktiver als Melek. Er
betrachtete den fast erschreckend massigen Körper seiner Schwester.
»Hm, ganz kapiert habe ich das
nicht«, sagte Melek. »Es ist nicht abstrakt, und trotzdem verstehe ich es
nicht. Was willst du denn damit aussagen?«
»Es ist ja noch nicht
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