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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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stand auf. Er hoffte, dass Nermin gleich wieder gehen würde. Das tat
sie zwar, aber als sie schon an Osman vorbei war, rief der ihr nach: »Vielleicht
kennt dich meine Mutter jetzt! Frag sie doch mal!«
    »Kindskopf!« zischte Nermin ihm zu
und ging hinaus.
    Ahmet setzte sich wieder ans Telefon
und wählte hastig. »Was soll ich ihr bloß sagen?« Er spürte sein Herz klopfen.
    Es meldete sich eine Frau. Das
musste İlknurs Mutter sein.
    »Ich würde gerne mit İlknur
sprechen!« sagte Ahmet und ärgerte sich über sein höfliches Gesäusel. Er
schielte zu Osman hinüber, der in seine Zeitung vertieft war.
    »Wer sind Sie denn?«
    »Ein Freund von ihr!«
    Nach kurzem Zögern sagte die Frau:
»Einen Augenblick bitte!« Ahmet merkte, dass sie am liebsten genauer
nachgefragt hätte.
    Den Hörer fest ans Ohr gepresst,
wartete Ahmet ab. Er lauschte auf die Töne, die aus İlknurs Haus zu ihm
drangen, fröhliches Lachen, lautes Durcheinanderreden, türkische Musik. »Na Sie
sind gut, Nimet!« rief jemand. Ahmet sah auf Cevdets Foto an der Wand. Cevdet
schien ihm zuzulächeln, wenn auch mahnend. »Ja, richtig, entschlossen vorgehen,
aber immer schön vorsichtig!« Ahmet hörte wieder jemanden laut auflachen. Dann
näherten sich Schritte. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals.
    »Hallo!
    »Ich bin’s! Warum bist du nicht
gekommen?«
    »Ach, du bist’s! Tut mir leid, ich
konnte nicht, wir haben Besuch!«
    »Du hast aber gesagt, du kommst!«
    »Ich habe gesagt, dass ich
vielleicht komme!«
    »Was geht dich denn der Besuch an?«
    »Da ist jemand dabei, den ich
zuletzt als Kind gesehen habe!«
    »Wer denn? Soll das heißen, du kommst heute gar
nicht?«
    »Vielleicht am Abend!«
    »Abend ist es jetzt schon«, sagte
Ahmet sarkastisch. »Wann soll ich dich abholen?«
    »Wie spät ist es jetzt? Halb acht.
Komm so um neun vors Haus!«
    »Um acht?«
    »Um neun! Was hast du denn heute?«
    »Ach, nichts! Ich bin nicht gut
drauf. Was machst du so?«
    »Na ja, wir haben halt Besuch! Also
um neun, ja? Oder halt, nein, vielleicht komme lieber ich zu dir!«
    »Was, um die Zeit? Von so weit weg?«
İlknur wohnte in Teşvikiye, bis dahin waren es gerade mal zehn
Minuten. Ahmet suchte nach einem anderen Vorwand und wurde auch gleich fündig:
»Um die Zeit? Wo es doch heißt, es gibt einen Putsch!« Er ließ diesem Satz ein
gekünsteltes Lachen folgen und blickte dann zu Osman hinüber, der immer noch
las.
    »Einen Putsch? Ach komm!«
    »War nur ein Scherz! Ich erzähl
dir’s dann! Ich komme also um neun und warte unten!« Ahmet hätte ihr gerne noch
andere Dinge gesagt, aber mit Blick auf Osman ließ er es bleiben. Dann aber
fiel ihm noch ein: »Ach ja, nimm das Heft mit!«
    »Welches Heft?«
    »Das von meinem Vater, in der alten
Schrift!«
    »Ach so, ja, das habe ich gelesen!«
sagte İlknur fröhlich. »Hochamüsant! Dein Vater muss schon ein besonderer
Mensch gewesen sein!«
    »Aha. Bring es auf jeden Fall mit.«
    »Hochamüsant!« wiederholte
İlknur.
    »Du scheinst dich ja dort auch gut zu
amüsieren!«
    »Schon gut, schon gut!«
    Ahmet legte auf. Mit den Fingern
trommelte er nervös auf dem Telefontischchen herum und sah dabei zwischen dem
Foto Cevdets und Osman hin und her. »Ja, ich muss Cevdet malen! Aber wie? Am besten
zusammen mit den Waren im Lager, mit seinen Arbeitern, mit den Sachen hier in
der Wohnung und der ganzen Familie …« Lächelnd stand er auf. »Ja genau, mit
den ganzen Sachen!« Er sah sich in dem vollgestopften Zimmer um. Es wurde in
der Familie noch immer darüber geredet, wie damals, als an der Stelle des alten
Hauses das Apartmenthaus gebaut worden war, Nigân darauf bestanden hatte, in
ihr Stockwerk so viel von den alten Möbeln mitzunehmen wie nur möglich. An den
Wänden hingen Turbanständer, Gebetsketten, allerlei Zierat und Fotos von
Cevdet, und vor lauter Sesseln, Stühlen, Tischen und mit Perlmutt eingelegten
Möbeln konnte man sich kaum einen Weg durch das Zimmer bahnen. Auch das
unbenutzte Klavier war mit wertvollem Porzellan, mit Majolikavasen, Teetassen
und Tellern vollgestellt. Nigân hatte immer Angst, es könne etwas davon
kaputtgehen, und ließ an diese Sachen niemanden heran, und da sie seit Monaten
selbst nicht in der Lage war, dort sauberzumachen, war alles von einer dicken
Staubschicht bedeckt. »Was die wohl wert sind?« dachte Ahmet auf einmal
erschrocken. »Wenn ich davon ein paar Stück mitgehen lasse, kann Hasan ein
halbes Jahr seine Zeitschrift finanzieren!« Am wertvollsten waren wohl

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