Cevdet und seine Soehne
Hause
gewartet, ob er nicht kommt, aber umsonst«, sagte Osman. »Also wird er wohl das
nächstemal erst wieder nach Monaten oder Jahren kommen! Na ja, wenn er noch so
lange lebt!« Plötzlich schämte er sich dieses Gedankens. »Ach, er kommt schon
wieder! Immer wieder taucht er auf, wie ein Gespenst!«
»Ein Gespenst!« wiederholte Cemil.
Necdet sagte lachend: »Neulich waren
wir bei Tarık eingeladen, da wollte seine Frau unbedingt eine
spiritistische Sitzung veranstalten. Ich glaube ja an so was nicht und Lâle
auch nicht, aber die haben keine Ruhe gegeben, also haben wir uns eben dazu an den
Tisch gesetzt. Ich kann euch sagen, die Frau ist regelrecht weggetreten dabei,
ich bin richtig erschrocken. Für Tarik tut mir das echt leid. Bei denen zu
Hause liegen auch lauter solche Zeitschriften herum.«
»Seine Frau war doch mal depressiv,
oder?« sagte Mine. »Kann ich noch etwas Salat haben?«
»Ganz richtig ist die nicht im
Kopf!« sagte Cemil lachend.
»Und Tarık soll was mit einer anderen haben«, sagte
Lâle.
»Doch nicht vor den Kindern, Lâle!
«, tadelte Mine ihre Schwägerin sanft.
»Was heißt hier Kinder?« rief Cemil.
»Kann man noch von Kindern reden, wenn sie sich schon das Auto ausleihen
wollen?«
Alle drehten sich zu Cevdet und Kaya
um.
»Was machst du nach dem Abitur,
Cevdet?« fragte Remzi.
»Ich schicke ihn ins Ausland!« sagte
Cemil. »Hier kann man ja nicht mehr studieren!« Nach Bestätigung heischend
schaute er zu Osman hinüber. »Sein Großvater will das auch!«
»Ja, an den Unis geht es schlimm
zu!« pflichtete Remzi ihm bei. »Gott sei Dank haben die unseren schon
fertigstudiert!«
»Nicht bloß an den Unis!« warf
Necdet ein. Ȇberall geht es schlimm zu! Aber der Fisch stinkt eben vom Kopf
her, was soll da der Hintern machen?«
Sie lachten alle, aber dann wurde es
leise.
»Necdet, trink nicht soviel!«
mahnte Lâle.
»Mensch, er hat doch recht!« rief
Cemil. »Jetzt mischen sie schon Wasser ins Benzin, habe ich doch erzählt, oder?
Ja, wenn keiner das kontrolliert und die Leute bestraft, warum sollen sie es
dann nicht machen? Da sagt sich jeder, alle anderen machen es, und ich soll der
einzige Blöde sein? Ich habe mir jetzt auch schon gedacht, ob wir nicht bei uns
in der Fabrik die Glühfäden –«
»Du trinkst auch zuviel!« unterbrach
ihn Osman ungnädig.
Cemil warf seinem Vater einen
gereizten Blick zu. Da Ahmet zwischen den beiden saß, fühlte er sich
verpflichtet, beschwichtigende Worte zu sagen, allein, ihm fiel nichts ein.
Doch schien von der Missstimmung an diesem Ende des Tisches sonst kaum jemand
etwas mitbekommen zu haben.
»Neulich war ich beim Obsthändler
Aziz«, erzählte Lâle. »Dem hatte doch Opa damals so geholfen. Er hat zwar auch
meinen Eltern einen schönen Gruß bestellt, aber trotzdem hat er mir lauter
schlechtes Obst in die Tüte getan!«
»Da sieht man’s wieder!« sagte
Necdet. »Warum macht der Mann das?«
Remzi hielt seinen Teller noch
einmal hin und erwiderte: »Aus lauter Gewohnheit!«
»Du hast doch schon soviel
gegessen!« sagte Ayşe.
»Das ist nicht einfach Gewohnheit,
das liegt am ganzen verdorbenen System!« sagte Mine und sah dabei Ahmet an.
»Ja, genau!« fiel Cemil ein. »Das
System ist verdorben! Das Kapitalistensystem! Dagegen sollten wir
demonstrieren! Hahaha!« Er sah nun ebenfalls Ahmet an. »Ist jetzt ein
Obsthändler auch schon ein Kapitalist?«
Resigniert erwiderte Ahmet: »Nein,
aber ein Importeur ist einer und ein Exporteur auch.« Stichelnd fügte er hinzu:
»Und natürlich die ganze Montageindustrie.«
»Schau, schau«, sagte Osman nur,
aber er schien sich gar nicht angesprochen zu fühlen.
»Jeder beschwert sich immer über das
verdorbene System, aber keiner tut was dagegen!« sagte Necdet. Er sah zu Ahmet.
»Außer der Jugend!«
»Kennt ihr schon den neuesten Witz
über den Staatspräsidenten?« fragte Cemil und begann ihn sogleich zu erzählen.
»Ja, kennen wir!« rief Necdet und erzählten
einen anderen Witz, über den dann auch alle lachten. Als zweiter Gang wurde
Spinat in Olivenöl serviert.
»Warum kommen wir eigentlich nicht
öfter so zusammen!« sagte Mine. Dann fiel ihr wieder ein, warum sie überhaupt
hier aßen und nicht oben.
»Wie es wohl Mama geht?« sagte
Ayşe.
»Nach dem Essen gehen wir rauf zu
ihr!« beruhigte sie Remzi.
»Ja, alle zusammen!« rief Lâle.
Cemil fragte: »Kommt heute der Arzt
noch?«
Mine sagte: »Ja, nach dem Essen
gehen wir alle zusammen zu ihr rauf!« Dann
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