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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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sich selber Schach gespielt. Warum bloß?«
    »Aus lauter Überdruss! Oder was weiß
ich, um besonders originell zu sein! Ich habe ihn nie gemocht. Er hat immer
seine Scherzchen mit mir getrieben, aber nicht, um mich zu amüsieren, sondern
um meine Eltern damit zu ärgern. Meine Schwester kennt ihn besser als ich.«
    »Dann erzähl mir doch von diesem
Muhittin!« sagte İlknur gähnend.
    »Weißt du, wie der mit Nachnamen
heißt?«
    »Nein.«
    »Nişancı. Er ist der
konservative Abgeordnete Muhittin Nişancı.«
    »Tatsächlich?«
    »Da staunst du, was? Hier ist ein
Gedichtband von ihm!«
    Die beiden lächelten sich an. Ahmet
reichte İlknur das Buch. Sie blätterte darin herum und las dann vor, was
auf der ersten Seite stand: »Meinem Freund, dem jungen Kaufmann Refık,
dessen Leben ich voller Interesse verfolge …«
    »Komm, mach das zu!« rief Ahmet.
»Was haben wir damit zu schaffen? Mich geht das vielleicht noch ein bisschen
was an, aber dich doch nicht!«
    »Wie sind deine Eltern dann
auseinandergegangen?«
    »Mein Vater ist eines Tages wieder mal
betrunken nach Hause gekommen. Ich war damals im Galatasaray-Internat. Er hat
eine seiner Tiraden losgelassen, von wegen dass es eine Schande ist, nichts zu
unternehmen, wo doch neunzig Prozent der türkischen Bevölkerung in Armut und
Elend leben.«
    »Das mit dem Betrunkensein und der
Tirade ist wohl die Version deiner Mutter?«
    »Jedenfalls hat er geredet und
geredet und dann irgendwann gerufen: Es muss jetzt was geschehen!«
    »Zu Recht!«
    »Und meine Mutter hat gesagt: Jetzt
geschieht auch gleich was, und zwar packe ich meine Koffer! Und das hat sie
dann auch gemacht.«
    »Ist ja hochdramatisch!«
    »Macht auch nicht jeder. Meine
Mutter ist seit Jahren stolz darauf.«
    »Wie stand dein Vater damals
finanziell da?«
    »Miserabel. Seine Firmenanteile
hatte er verkauft und mit dem Geld einen Verlag betrieben, bis nichts mehr da
war. Und in Paris war er inzwischen auch.«
    »Was hat er da gemacht? Und wann war
das?«
    »Ich weiß nicht, was er gemacht hat.
Vielleicht nach dem Sinn des Lebens gesucht. 1951 war das, glaube ich.«
    »Aber dein Vater wollte doch nicht
nur sich selber retten, sondern die ganze Türkei! Wer gibt schon alles auf, um
dann Bücher herauszubringen, die keiner will?«
    »Ja, ein Robinson, der von seinem
Zimmer aus das Vaterland retten will. Oder von seinem Hotelzimmer in Paris aus.
Hm, das wird dich interessieren: In Paris hat er in einem Café einmal Sartre
gesehen!«
    »Ach ja?« rief İlknur
aufgeregt. »Und was hat Sartre gemacht?«
    »Dagesessen! Noch dazu auf einem ganz
normalen Stuhl, wie jeder andere auch. Und Tee hat er getrunken, nein, warte,
ich glaube, Kaffee war es!«
    »Und was hat dein Vater gemacht?«
    »Nichts! Hat wahrscheinlich nur
gedacht: Ich sehe gerade Sartre! Warum fragst du das?«
    »Ach, einfach so …« sagte
İlknur verlegen.
    »Na dann erzähl ich’s dir: Mein
Vater hat Sartre gefragt: Monsieur Sartre, was ist der Sinn des Lebens? Und wie
kann ich mein Land retten?«
    »Nein, er hat eher gefragt: Wie kann
das Licht der Aufklärung in die Türkei kommen?«
    »Und Monsieur Sartre hat
geantwortet: Monsieur, wenn ich ein Intellektueller aus einem unterentwickelten
Land wäre, dann würde ich nicht hier in Paris meinen Café au lait trinken,
sondern in meinem Land als Lehrer arbeiten! Und dann hat Sartre an seinem eigenen
Café au lait genippt!«
    »Wie witzig!« Um Ahmet zu zeigen,
wie abgeschmackt sie seine Scherze fand, sah sie demonstrativ in das Tagebuch
hinein.
    Besorgt fragte Ahmet: »Was ist denn
mit dem Licht der Aufklärung?«
    İlknur erwiderte gleichgültig:
»Was soll schon sein? Dein Vater hatte eben einen Hang zu dieser Symbolik:
Finsternis, Licht, Aufklärung … Und in seiner Unwissenheit wollte er alles
allein damit erklären.«
    »Aha! Jetzt gibst du mir also
recht!« Ahmet gähnte und lachte dann. »Worüber reden wir eigentlich? Sagen Sie
doch, liebste Katja Mihailowa, worüber reden wir denn?«
    »Wir reden über Licht und
Finsternis, über das Leben und seinen Sinn, über anderer Menschen Leben und
über die Rettung des Vaterlandes!«
    »Doch sollten wir dieses Kapitel nun
beschließen, denn ich möchte von der Kunst sprechen!«
    »Dann tun Sie das doch, Stepan
Stepanowitsch! Aber bringen Sie mir zuerst Tee!«
    »Stimmt, den haben wir vergessen!«

9
  LEBEN – KUNST
    Ahmet goss den Tee in frische Tassen und stellte
sie auf das kleine Tablett. Damit ging er wieder hinüber.
    »Was, schon

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