Cevdet und seine Soehne
fast zehn!« rief
İlknur. »Ich muss bald weg!«
»Wir haben doch noch gar nicht
geredet!«
»Haben wir nicht?« İlknur sah
nachdenklich drein. »Du bist ja gerade erst gekommen. Ich wollte dir doch
erzählen –«
»Was denn?«
»Alles!«
»Von der Kunst hast du was gesagt.«
»Ja. Ich habe manchmal Angst, dass
ich nicht mehr richtig an die Kunst glauben kann!« Ahmet sah İlknur
aufmerksam an, ob sie irgendwie reagierte. »Und wenn ich nicht mehr an die
Kunst glauben kann …«
İlknur saß so ruhig da, als
dächte sie nur: »Ich trinke jetzt meinen Tee, dann gehe ich die zehn Minuten
bis nach Hause, ziehe mein Nachthemd an und lege mich schlafen!«
»Wenn ich an die Kunst nicht mehr glauben
kann …« wiederholte Ahmet.
»Ja, ich höre!«
»Aber so, wie man sich ein Märchen
anhört!«
»Dann zünde ich mir eben eine
Zigarette an. Beim Märchenhören raucht man doch nicht, oder?«
»Wenn ich an die Kunst nicht mehr glauben
kann, dann ist das furchtbar!«
»Tja, für einen Künstler muss das
schon schlimm ein.«
»Was heißt hier schlimm? Eine
Katastrophe ist es! Und vor der habe ich Angst! Denn als Hasan gesagt hat, mit
diesen Bildern ließe sich keine Revolution machen, hatte er vielleicht recht!«
Ahmet wartete schweigend auf eine Antwort İlknurs. Nervös stand er dann
auf. »Nun sag schon, was meinst du? Hat Hasan recht oder nicht? Sag mir, dass
er unrecht hat!«
»Wie du willst: Hasan hat unrecht!«
Ahmet ging hin und her. Dann blieb
er stehen und sah auf seine Bilder. »Was sollen die jetzt für einen Sinn
haben?«
»Was ist denn mit deinen
Kunsttheorien?« fragte İlknur.
»Was heißt hier mit meinen? Sind das
nicht genausogut deine? Du machst doch einen Doktor in Kunstgeschichte.«
»Schon, aber im Bereich Architektur.
Und Bauwerke brauchen nicht lange nach einer Rechtfertigung zu suchen. Erst
recht keine osmanischen Bauwerke. Die Notwendigkeit einer Moschee wird wohl von
keinem Baumeister in Zweifel gezogen. Zweifel kommen höchstens an der Form auf. Aber bei dir
liegt der Fall ganz anders. Du zweifelst grundsätzlich, ob deine Bilder
notwendig sind.«
»Ja! Was soll ich denn machen?«
sagte Ahmet mutlos.
»Man hat doch eine viel zu
ganzheitliche Vorstellung von den Leuten früher?« erwiderte İlknur. »Und
man kann sich auch über das Streben nach Ganzheit in der osmanischen
Architektur lustig machen?«
»Willst du dich jetzt rächen, oder
willst du mir helfen?«
»Ich will nur sagen, was ich denke.«
»Dann sag’s doch.«
»Du solltest dich entweder gar nicht
mit solchen Gedanken herumplagen oder sie zu Ende denken.«
»Und wenn ich sie zu Ende denke?«
»Dann hörst du mit dem Malen auf.
Oder malst keine solchen Bilder mehr. Oder du versuchst dich wieder an solchen
Dorfbildern wie früher.«
»Dann kann ich ja gleich Politik
betreiben, ganz ohne Umwege.«
»Nein, ich glaube nicht, dass die
Alternative so aussieht. Es geht darum, realistisch zu sein.« Sie lächelte.
»Aber ich verstehe schon, warum dir unwohl ist: Weil du beschlossen hast, Hasan
zu helfen und bei seiner Zeitschrift mitzuarbeiten!«
»Wie kommst du darauf?«
»Hör mir nur zu! Warum willst du
dort mitarbeiten? Du hast ähnliche Ansichten wie diese Leute, und als Hasan
gekommen ist und dich um Hilfe gebeten hat, da hat es sich einfach gehört, ihn
nicht zurückzuweisen, so war es doch, oder? Siehst du, ich glaube, das ist gar
nicht das Entscheidende. Dich stört aber, und zwar ganz gewaltig, dass du denen
recht gegeben hast, die immer gleich nach irgendeiner Tat schreien, und dass du
selber beschlossen hast, aktiv zu werden oder zumindest etwas zu tun, dessen
Nutzen und Notwendigkeit ganz unmittelbar zu begreifen ist. Und warum verspürst
du so ein Bedürfnis überhaupt?« İlknur zeigte auf die Bilder. »Weil die da
diese Funktion nicht erfüllen können. So kommt es dir zumindest vor. Weil diese
Bilder nicht alles für dich sein können. Ist es nicht so?«
»Sagen wir mal, es ist so!«
»Sagen wir das nur, oder ist es
tatsächlich so?«
»Jaja, es ist so!« rief Ahmet unwirsch.
»Du brauchst dich nicht aufzuregen!
Deine Bilder sind für dich nicht alles, und durch deine Zusage an Hasan hast du
das unbewusst eingestanden. Das nagt jetzt an dir!«
»Na gut, aber was soll ich jetzt
machen?«
»Dich auf deine eigene Theorie
besinnen!« sagte İlknur, trank ihren Tee aus und stellte die Tasse
behutsam wieder ab.
»Meine Theorie! Die stammt doch gar
nicht von mir, ich habe lediglich versucht, daran
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