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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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zu glauben. Daran, dass die
Kunst eine Art Wissen vermittelt. Na und? Diese Bilder geben also ein Wissen
weiter, aber ist es auch das richtige? Ganz abgesehen davon, dass nicht klar
ist, ob dieses Wissen auch denjenigen erreicht, den es erreichen soll. Um
solche Bilder zu machen, muss man schon etwas seltsam veranlagt sein, so wie
ich eben! Die haben schon recht, die immer nach Taten schreien und mich nur
belächeln. Wo hat man je gesehen, dass ein vernünftiger Mensch sich mit Kunst
befasst? Sie sehen herab auf die Kunst, und sie haben recht damit. Aber wir
fahren trotzdem immer solche Gegenpropaganda auf, dass die anderen sich sagen:
Wir sollten diese Zuckerpüppchen nicht so grämen. Und dann kommen sie mit ihren
großen Tröstungen daher: Die Bedeutung der Kunst ist selbstverständlich
unleugbar! Viel zu sehr vernachlässigt haben wir die Kunst! Hasan hat vorhin
auch so was gesagt. Trink doch bitte noch einen Tee!«
    »Wenn es ein leichter ist und du ihn
gleich bringst!«
    Ahmet eilte in die Küche. »Ja, sie
geht bestimmt weg. Ich bedeute ihr wahrscheinlich nicht viel. Ich schütte ihr hier
mein Herz aus, und sie hat bloß im Sinn, rasch in ihr Bett zu kommen. Bestimmt
geht sie nach Österreich. Und ich werde dann mit Hasan … Ich kann auch eine
Stelle annehmen. Wenn ich mit Özer rede … Die Werbeagentur … Die nehmen
mich gleich. Dann arbeite ich, und zugleich mache ich bei Hasans Bewegung mit
…«
    »Was brabbelst du da vor dich hin?«
    Ahmet hatte İlknur gar nicht
kommen hören. »Ich … Was soll ich tun?« stammelte er, und dann umarmte er
İlknur plötzlich. Er küsste sie ungeschickt, dann wandte er sich abrupt
wieder dem Herd zu.
    Sie schwiegen. İlknur ging ins
Zimmer zurück, und Ahmet folgte ihr mit dem Tablett.
    »Was meinst du jetzt zu alledem?«
    »Was soll ich meinen? Mach dir nicht
so viele Gedanken!«
    »Du gibst mir doch recht, oder? Es
stimmt, was ich sage? Mit diesen Bildern ist nichts anzufangen!« Er deutete auf
die Zeitung. »Da werden überall Leute umgebracht, und ich komme mit meinen
Bildern daher … Es ist Blödsinn, sich mit so was zu beschäftigen. Ach, was
heißt Blödsinn, eine Frechheit ist es, purer Egoismus!«
    »Das gilt dann aber auch für Kunst
ganz allgemein, für Kunstgeschichte, ja für Wissenschaft jeglicher Art. Alles,
was nicht direkt Politik ist, ist dann Unsinn.«
    »Ja, Unsinn!« rief Ahmet. »Ist es
Unsinn? Was meinst du?«
    »Dass das so wohl nicht stimmen
kann!«
    »Mein Verstand sagt mir ja das
gleiche, aber nicht mein Gefühl. Kann es denn richtig sein, dass ich Bilder von
einem alten Kaufmann mache, während draußen Hüseyin Aslantaş umgebracht wird? Verstehst du, was ich
meine? Was soll ich nur tun? Goya war dem Tod gegenüber doch auch nicht
gleichgültig! Denk nur an Die Erschießung der Aufständischen!«
    »Gleichgültig bist du ja auch
nicht!«
    »Was soll ich nur tun? Als Goya
erfahren hat, dass Marats Soldaten Leute exekutierten, was hat er da wohl
gedacht?«
    »Ahmet, diese Zweifel gehen vorüber.
In der Türkei ist an der Notwendigkeit der Kunst noch nie gezweifelt worden.«
    »Ja, früher war das so, als die Kunst
noch aus dem Volk heraus entstand oder im Sultanspalast. Aber heute? Weder
gehöre ich zum Volk, noch erwartet irgend jemand von mir, das ich Kunst mache.
Und noch dazu wird das, was man vor zehn, zwanzig Jahren nur über die Kunst
andeuten konnte, heute ganz ohne Umschweife einfach ausgesprochen.«
    »Du merkst wohl selber, wie das der
Theorie von der Kunst als Wissensart widerspricht. Das offen ausgesprochene
Wissen ist ein anderes als das über die Kunst vermittelte.«
    »Jaja, weiß ich alles, weiß ich doch.
Aber du siehst ja, dass ich trotzdem verunsichert bin. Sag mir irgend etwas,
damit ich wieder wie früher voller Überzeugung arbeiten kann!«
    »Du redest, als würdest du von nun
an nicht mehr arbeiten können.«
    »Vielleicht vergeht das ja auch
wieder. Und wenn nicht, dann werde ich trotzdem arbeiten. Aber dieser Zweifel?
Die Kunst soll alles für mich sein!«
    »Kann sie eben nicht! Aber so
schlimm ist dein Fall auch wieder nicht!« Sie lachte. »Was ist bloß los mit
mir? Ich plappere einfach los!« Sie streckte sich. »Ach, bin ich müde! Gibt es
denn kein Sprichwort, das zu deiner Lage passt? Doch, natürlich. Sagst du’s?
Von wem ist das noch mal? Ars Tonga, vita brevis. Hm, wie ich mir das gemerkt
habe!« Sie gähnte. »Nichts wie heim und schlafen. Aber jetzt stehen mir noch
meine Eltern bevor!«
    Ahmet sagte

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