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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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eines Blumengeschäfts, die
künstlerisch gemalten Preise auf dem Schaufenster eines Lebensmittelmarkts, die
Telefonnummern eines Immobilienmaklers.
    Sie kamen bei İlknur an. Sie
sagte: »Also dann« und kramte in ihrer Umhängetasche nach dem Schlüssel.
    »Wann sehen wir uns wieder?« fragte
Ahmet.
    »Weiß nicht.«
    »Am Mittwoch nachmittag?«
    »Hast du da nicht dein Wunderkind?«
    »Diese Woche nicht. Da hat mein
Wunderkind eine Matheprüfung.«
    Sie lachten.
    »Na gut«, sagte İlknur. »Dann
komme ich so zwischen vier und fünf zu meinem Wundermaler!«
    »Ich warte auf dich«, sagte Ahmet
nicht sehr überzeugend.
    İlknur sperrte auf und fragte:
»Was hast du denn schon wieder?
    Immer noch das gleiche? Gnade!« Sie
lachte. »Wir zwei werden noch gaaanz lang zusammensein. Wer weiß, was wir noch
alles erleben!«
    »Wirst du nach Österreich gehen?«
    »Ich weiß es noch nicht.«
    Ahmet setzte zu einer Geste an,
brach aber dann ab und steckte die Hände in die Taschen. Mit seltsam erstickter
Stimme fragte er: »Meinst du, wir heiraten mal?« Er hatte das Gefühl, sein
Gesicht sei ganz verzerrt dabei.
    »Du bist schon seltsam heute abend!«
sagte İlknur, aber sie selbst konnte auch nicht so sein wie sonst. »Pass
auf: Geh jetzt heim, denk nicht mehr soviel und arbeite ordentlich!« Sie ging
ins Haus. »Ich freue mich auf Mittwoch!«
    Mit einer Ruhe, die ihn selber wunderte,
sagte Ahmet nur: »Gute Nacht!«
    İlknur schloss die Tür und
winkte noch kurz. Sie machte das Licht im Treppenhaus an und verschwand.

10
  EIN LOB AUF DAS DAHINFLIESSEN DER
ZEIT
    »Was habe ich da bloß gesagt?« dachte Ahmet. Er
ging auf die Moschee zu. Um sich zu bestrafen und seine Scham noch zu
verschlimmern, sagte er halblaut vor sich hin: »Heiraten!«, aber die erwartete
Wirkung trat nicht ein. »Ach was, habe ich eben ein wenig Blödsinn geredet!
İlknur versteht das schon!« Sinnierend ging er dahin. »Ob sie es wirklich
versteht?« Er ging noch einmal durch, was er ihr alles erzählt hatte. »Leben!
Kunst! Was ich machen soll! Ich bin wirklich zu impulsiv heute!« Ein paar
Schritte weiter: »Aber sie versteht mich schon. Und sie gibt mir sogar recht!
Ich bin ja auch nicht der einzige, der solche Probleme wälzt!« Ein Sportwagen
röhrte an ihm vorbei. »Nein! Sie denkt wohl ganz anders. Sie hat ja gesagt, was
sie denkt: Sie hält mich für egoistisch!« Er kam an der Moschee vorbei. »Und das zu Recht! Ich denke zuviel an meine
eigenen Sorgen!« Er versuchte sich selbst auf die Schippe zu nehmen: »Die Leute
verstehen nun mal meine Bilder nicht. Keiner, der sie sieht, geht danach hin
und macht eine Revolution! Entnervend ist das!« Aber weder konnte er so
richtig spotten, noch brachte er den rechten Ernst auf. »So schwanke ich immer
hin und her zwischen zwei Wegen. Auf der einen Seite das Leben, auf der anderen
die Kunst! Nein: auf der einen Seite die Revolution, und auf der anderen?«
Nein, das traf es alles nicht, das tat ihm nur weh. »Was denke ich dann
eigentlich? Zu welchem Urteil über mich selbst komme ich? Aus lauter Angst vor
einem negativen Urteil rede ich um den heißen Brei herum. Und zwar so lange,
bis gar kein Urteil herauskommt!« Aber war nicht auch das schon wieder
Geschwätz? »Wie ich wirklich bin, das wissen nur andere!« Er dachte an Hasan.
»Ein guter Junge! Aber eben noch ein Junge! Wie unbedingt er sofort an diese
Zeitschrift glaubt! Aber wer weiß, vielleicht wird ja was draus!« Er malte sich
aus, wie die Bewegung um die Zeitschrift herum erstarken und sich gar in eine
Partei verwandeln würde. Womöglich fand er ja selbst seinen Platz darin? Da kam
ihm der Putsch wieder in den Sinn. »Der Putsch wird alles ändern!« Er starrte
auf den nassen Gehsteig. Ein Straßenköter musterte ihn misstrauisch. »Ach was,
es wird schon nichts sein! Was wohl Hasan über mich denkt?« Ihm fiel wieder
ein, dass Hasan einmal »Du bist doch nicht degeneriert!« zu ihm gesagt und er
das kindisch gefunden hatte. Der Parka, die Stiefel und wie er Melek die Hand
geschüttelt hatte! Ahmet musste lachen. Der Mann, der den Christbaum schmückte,
stand noch immer in seinem Schaufenster. »Bald ist Silvester! Dann kommt wieder
der als Weihnachtsmann verkleidete Losverkäufer.« Von Kindern wurde der Mann
immer verspottet, aber Erwachsene kauften ihm ganz normal Lose ab. »Ein neues
Jahr … Wieder ein Jahr vorbei … Ich denke ja schlagzeilenartig … 1970 …
Die Bilder in den Zeitungen … Ein weißhaariger alter Mann

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