Cevdet und seine Soehne
Fotos wieder an sich. Sait wandte sich
seiner Frau zu, und gemeinsam schienen sie danach zu fahnden, was genau Ömer an
dem Jungen »lieb« gefunden hatte.
»Worauf bin ich eigentlich aus bei
meiner Rückkehr nach Istanbul?« dachte Ömer. »Auf eine Frau, ein Kind, eine
glückliche Familie und vor allem auf das Geld, das man dazu verdienen muss. Auf
alles das also?« Sie waren noch nicht einmal in der Türkei angelangt, aber
schon wurde er beim Gedanken an ein kleines Familienglück von einer gewissen Melancholie
erfasst. Er stürzte sein Glas hinunter: »Ich trinke noch was!«
»Und ob Sie noch was trinken!«
lachte Sait. »Sie sind ja noch jung; wenn Sie jetzt nicht trinken, wann dann?«
Ein von seiner jährlichen
Europareise heimkehrender Ehegatte. Er war stolz auf seine junge Frau, blickte
gerührt auf die Fotos seines Sohnes, lebte von Importgeschäften
und dachte hin und wieder wehmütig daran zurück, dass er als Sohn eines
Paşas aufgewachsen war. Ömer sagte sich: »Ich werde es anders machen! Ich muss
über all das hinauskommen! Weiter als die da! Ich muss erst einmal alles
erschüttern, kurz und klein schlagen!«
Nach einer Weile sagte Güler: »Du
wolltest doch weiter von Europa erzählen, Sait.«
»Ja, stimmt! Von Europa und von uns
… Von meinem Vater, dem Paşa, habe ich ja schon erzählt, nicht wahr?
Also dieser Cevdet, mit dessen Sohn Sie befreundet sind, für den haben sich
meine Eltern verwendet, als er um die Hand von Nigân angehalten hat. Und die
Hochzeit wurde dann in unserem Konak abgehalten. Na ja, den Konak haben wir
später von Grund auf renovieren lassen. War einfach nicht mehr zeitgemäß.«
Atiye fragte seufzend: »Was wohl mit
uns in zwanzig oder dreißig Jahren sein wird?« Sie sah dabei Ömer an.
»Die erwarten sicher von mir, dass
ich was Unterhaltsames beitrage«, dachte Ömer, doch gab er sich lieber dem
Schütteln des Waggons und dem Trinken hin. »Sollen wir noch eine Flasche
bestellen?« fragte er.
»Aber selbstverständlich!« rief
Sait. Er sah voller Wohlwollen auf den jungen Mann, der sich da anschickte, das
Leben in Angriff zu nehmen, und er dachte dabei wehmütig an sich selbst und an
die verflossenen Jahre zurück.
Der Kellner brachte eine neue
Flasche.
Ömer dachte daran, wieviel er zu
früheren Zeiten schon getrunken hatte. Angefangen hatte er nach dem Tod seines
Vaters, und als auch die Mutter starb, wurde ihm das Trinken zur Gewohnheit.
Während seines Ingenieurstudiums in Istanbul war es oft genug vorgekommen, dass
er sich ins Nachtleben von Beyoğlu stürzte, bis in den Morgen hinein trank
und dann in diesem Zustand an der Hochschule aufkreuzte. Nach dem Diplom sagte
er sich, es sei nun Zeit, sich ein wenig woanders umzusehen, und seine Freunde
bestärkten ihn darin. »Du hast Geld und Zeit, bist nicht gebunden, da willst du
doch nicht immer auf dem gleichen Misthaufen herumkratzen. Also mach, dass du
fortkommst, schau dir die Welt an, amüsier dich und lern womöglich noch was
dabei!« In England tat er dann, wozu die Freunde ihm geraten hatten. Als er
sich einmal verliebte, spielte er schon mit dem Gedanken, zu heiraten und sich
ganz dort niederzulassen. Nun sah er sich die vom Kellner gebrachte Flasche an:
»Jetzt machen sie bei uns auch schon ganz ordentliche Sachen!« Nach seinem
Beschluss, in die Türkei zurückzukehren, waren bei ihm schon Reuegedanken
aufgekommen, denn jetzt würde er doch tatsächlich wieder auf dem gleichen
Misthaufen herumkratzen. Mittlerweile aber war er guter Dinge. Die Türkei war
nun mal sein Misthaufen und ganz auf seinen Ehrgeiz zugeschnitten. Europa
dagegen wirkte, als sei es längst erobert. Während er das Flaschenetikett
begutachtete, dachte er: »Es mag ein kindlicher Gedanke sein, aber irgendwie
hatte ich Angst, dort mein ganzes Leben zu verbringen. Der Himmel kam mir dort
so bleiern vor … In der Türkei ist alles ganz anders. So neu, als würde es
nur auf mich warten!«
»Hoho, Sie trinken aber ganz schön
schnell, ich komme ja kaum mehr nach!«
Beschämt erwiderte Ömer: »Ach ja,
wirklich? Mir schmeckt es plötzlich so!«
»Aber so still werden Sie dabei«, sagte
Atiye vorwurfsvoll. »Nun sagen Sie schon, woran haben Sie gerade gedacht? Raus
mit der Sprache!«
Sait Bey sah seine Frau an, als
wollte er sagen: »Jetzt lass den Jungen doch in Ruhe!« Er lächelte Ömer an. Er
war darum bemüht, so zu wirken, als kümmerte ihn nicht recht, ob der junge Mann
sich nun offenbarte oder nicht, doch von seinem
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