Cevdet und seine Soehne
genommen habe, um deine Mutter zu entlasten, und wie ich
dich da so schaukle, da spuckst du Gör mir doch mit einemmal auf mein neues
Seidenkleid! Weil das deiner Mutter furchtbar peinlich gewesen wäre, habe ich
dich gleich auf die verschmutzte Stelle gedrückt, damit sie nichts sieht, und
dann habe ich sogar noch –« Prustend unterbrach sie sich.
Auch Ömer lachte. Verstohlen blickte
er zu Nazli hinüber. Als er sah, wie schmerzlich diese das Gesicht verzog, war
er seiner Tante böse, weil sie so etwas überhaupt erzählt hatte. Als wäre ihm
plötzlich etwas Wichtiges eingefallen, stand er auf und sagte: »So, ich muss
jetzt leider gehen!«
Wie erwartet, protestierten seine
Gastgeber zunächst, aber dann begleiteten sie ihn zur Tür. Bevor der
Abgeordnete wieder in den Salon zurückging, sagte er noch: »Und vergessen Sie
mir die Reformen nicht! Die sind die Hauptsache! Der Staat geht vor, und unsere
persönlichen Wünsche müssen dahinter zurückstehen, nicht wahr? Und einen
schönen Gruß an Ihre Tante und Ihren Onkel!«
Auch Cemile ließ Grüße an die in Bakırköy wohnenden Verwandten
ausrichten. »Und komm bald wieder, sonst bin ich dir böse! Diesmal bist du ja
nur wegen dem da gekommen!« Dabei zeigte sie auf den Umschlag in Ömers Hand.
»War nur ein Scherz!« beschwichtigte sie dann.
Ömer sagte noch etwas Belangloses zu
seiner Tante, aber seine ganze Aufmerksamkeit galt Nazli, die mit der Katze auf
dem Arm tänzelnd an der Tür stand. Während er ihr dann die Hand gab, dachte er:
»Ich wollte doch ein Eroberer werden!« Und beim Hinabgehen auf der Treppe: »Ja,
und das werde ich auch!« Cemile rief ihm noch nach, er solle seinen Mantel
anziehen und sich nicht erkälten.
Draußen wehte ein kalter Wind. Vor
dem Gümüşsuyu-Krankenhaus
stand ein Militärfahrzeug, und ein Soldat humpelte, von zwei Kameraden
gestützt, die Treppe hinauf. Ömer bestieg ein Taxi und fuhr nach Bakırköy.
Unterwegs dachte er über seinen
langen Tag nach. Am Morgen hatte er mit Onkel und Tante dem Schlachten des
Opfertiers beigewohnt, zu Mittag hatte er im Haus eines Verwandten gegessen,
und am Nachmittag war er zu Refık gegangen. Dieses festtägliche Istanbul
mit seinem Familientrubel in gemütlich warmen Salons hatte etwas an sich, vor
dem es sich tunlichst zu hüten galt. In Ömer kam wieder der unbestimmte Wunsch
auf, irgend etwas kaputtzuschlagen, umzustürzen. Gähnend streckte er sich.
»Dieser windelweichen Trägheit, diesem leidenschaftslosen Familientrara darf
ich mich ganz einfach nicht hingeben! Was aber soll ich statt dessen tun?«
6
WAS SOLL MAN MIT SEINEM LEBEN
ANFANGEN?
Die drei Freunde hatten die von Nuri extra
zubereiteten Izmir-Köfte gegessen, sich ausgiebig am Familiengespräch beteiligt
und alle zum Lachen gebracht. Dann waren sie wieder in das Arbeitszimmer
hinaufgegangen und hatten geplaudert, ohne dass aber ein echtes Gespräch
zustande gekommen wäre. So dachte Refık, dieses würde beginnen, sobald
einmal alle anderen im Bett wären und sie sich ungestört im Wohnzimmer unten
breitmachen könnten. Schon früher hatten sie es immer so gehalten. Sie hatten
stundenlang Poker gespielt, und wenn im Haus alles verstummt war, hatten sie
den Samowar aufgestellt und ewig geredet. Muhittin war einmal in einem Buch
darauf gestoßen, dass Puschkin und andere russische Intellektuelle des 19.
Jahrhunderts es ähnlich gehalten hatten.
Vor der Tür schlug die Wanduhr. Ömer
streckte sich und reckte dabei den Kopf vor, um auf seine Armbanduhr zu sehen.
Dann blickte er wieder auf das Buch, in dem er blätterte. Muhittin trommelte
mit den Fingern auf den Lehnen seines Sessels. Draußen hörte man Schritte, dann
wieder nur das Ticken der Uhr.
»Los jetzt!« sagte Refık.
So leise wie möglich stiegen sie die
Treppe hinunter. Refık ging weiter bis in die Küche und stellte erfreut
fest, dass Nuri schon den Samowar angeheizt hatte. Zusammen mit dem Tablett
darunter hievte er das brodelnde Gerät ins Wohnzimmer hinüber. Muhittin hatte
schon in Cevdets Lieblingssessel Platz genommen.
Ömer inspizierte unterdessen die
Räumlichkeiten. Als er wieder aus dem Zimmer trat, in dem das Klavier und die
Möbel mit den Perlmuttintarsien standen, sagte er: »In
diesem Haus ändert sich doch wirklich nichts!« Beim Anblick des Samowars hellte
seine Miene sich auf. »Das soll aber keine Kritik sein!«
Refık ahnte, dass mit Hilfe des
Samowars das bisher nur dahinplätschernde Gespräch endlich so in Gang
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