Cevdet und seine Soehne
in
Ayazpaşa öffnete, bedeutete ihm sogleich, er werde zum Essen schon
erwartet. Er nahm ihm den Mantel ab und führte ihn in einen hellerleuchteten
Salon. Dort begrüßten ihn der Abgeordnete Muhtar, dem Ömer zuvor erst einmal
begegnet war, seine Tochter Nazli, die er noch als Kind in Erinnerung hatte,
und seine Schwester Cemile. Danach wurde Ömer mit einem anderen Gast bekannt
gemacht, der ebenfalls Abgeordneter war. Sie setzten sich zu Tisch, und der
griesgrämige Diener begann auch sofort die Speisen aufzutragen. Dazu wurde
geplaudert.
Ömer war gekommen, um für ein Haus,
das er aufgrund einer verwickelten Erbschaft zusammen mit Cemile besaß, den
Mietzins abzuholen, der während der vier Jahre
seiner Abwesenheit aufgelaufen war. Als er am Morgen deswegen angerufen hatte,
war der Abgeordnete ans Telefon gegangen und hatte Ömer umstandslos zum
Abendessen eingeladen. Nun aber kümmerte er sich nicht im mindesten um Ömer,
sondern ging mit seinem Freund den neuesten politischen Klatsch durch. Cemile
wiederum war froh, Ömer für sich allein zu haben. Sie war ledig, jenseits der
Fünfzig und von fröhlichem Wesen. Mit Vorliebe sprach sie über gemeinsame
Bekannte und Verwandte.
»Tante Alebru ist nach Çamlıca
gezogen, jetzt, wo Onkel Sabri in Rente ist. Weißt du, was der jetzt macht?
Alte Münzen sammeln! Erst hat er nur so zum Zeitvertreib damit angefangen, aber
mittlerweile ist ihm das zur Passion geworden. Jeden Tag fährt er hinunter zum
Großen Basar. Das Grundstück in Erenköy hat er verkauft, um sich die ganzen
Silbermünzen leisten zu können. Tante Alebru ist schon ganz verzweifelt, aber
was soll sie machen! Du erinnerst dich doch an Tante Alebru, oder?«
Während Ömer Cemile zuhörte,
lauschte er auch auf das Gespräch der beiden Abgeordneten und schielte hin und
wieder zu Nazli hinüber. »Natürlich erinnere ich mich noch.«
»Das will ich doch hoffen.« Cemile
wandte sich zu Nazlı:
»Du wirst es bestimmt nicht mehr wissen, aber du warst dabei damals, als wir
nach Ihlamur gefahren sind, zu einem Landausflug oder Picknick, wie sie das
heute nennen. Tante Alebru mochte Ömer sehr und mag ihn wohl heute auch noch.
Aber du rufst sie natürlich nicht an, was? Warum eigentlich nicht? Ihr solltet
euch mehr um die älteren Herrschaften kümmern. Wenn ihr wüsstet, wie die sich
freuen, wenn ihr sie besucht!«
»Ach Tantchen, wir haben halt keine
Zeit!«
»Keine Zeit! Wo war ich
stehengeblieben?«
Bis der zweite Gang auf den Tisch
kam, erzählte Cemile weiter Verwandtengeschichten, während die Abgeordneten
über Politik sprachen. Dann wandte Muhtar sich Ömer zu.
»Sie waren doch in England, nicht
wahr?« Er blickte sich zu seinem Kollegen um, als wollte er sagen: »Na, dann fühlen
wir dem jungen Mann mal auf den Zahn!«
»Also, wie ist es da so?«
»Äh, gut.«
»Die politische Lage meine ich. Was
sagen die zum italienischäthiopischen Krieg?«
»Um Politik habe ich mich nicht
besonders gekümmert.«
»Tja, die neue Generation. Meine
Tochter ist genauso.«
»Papa, ich verfolge das politische
Geschehen, so gut ich eben kann.«
»Ist ja schon gut, Schätzchen!«
sagte der Abgeordnete und nickte abwesend.
»Und, wie sehen uns die da drüben?«
»Was meinen Sie mit uns?«
»Oh, Sie haben sich aber in der
Türkei noch nicht wieder eingelebt! Uns Türken meine ich ganz einfach!«
»Na ja, die denken bei Türkei noch
immer an Fes und Harem und verschleierte Frauen.«
»Jammerschade! Wo sich so viel getan
hat bei uns!« Er schien sich über soviel Undank zu grämen.
»Wir scheren uns nicht viel um die
Meinung der anderen, doch sollten wir das. Wir waren der kranke Mann Europas,
aber jetzt sind wir genesen, und das müssen wir der Welt vermitteln.«
»Aber die Welt ist ja inzwischen
selber krank!« rief Muhtar. »Ob es wohl zu einem Krieg kommt?« Bei dieser Frage
sah er Ömer an, schien aber von ihm keine Antwort zu erwarten oder einer
solchen keinen Wert beizumessen.
Die beiden Abgeordneten erörterten wieder
die Wahrscheinlichkeit eines Kriegsausbruchs sowie die Lage in Spanien und
Äthiopien. Cemiles Miene besagte: »Die wieder mit ihrer Politik«, und Ömer und Nazlı fanden zum erstenmal
Gelegenheit, miteinander zu sprechen.
Als Nazlı erzählte, dass sie Literatur studierte,
fiel Ömer jemand aus der Familie ein, der an der gleichen Fakultät sein musste,
doch da es ein Verwandter väterlicherseits war, kannte Nazlı ihn nicht. Nach diesem Gesprächseinstieg
erröteten die beiden
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