Cevdet und seine Soehne
In seinen Sessel gelehnt, blickte
er auf die windgeschüttelten Bäume hinaus. Er verspürte eine Unruhe in sich und
versuchte, möglichst an gar nichts zu denken.
Still saßen sie da. Der Regen, der
etwas nachgelassen hatte, wurde wieder heftiger. Beide sahen sie zum Fenster
hinaus.
»Sollen wir ins Kino gehen?« fragte
Refık unvermittelt.
Eher verlegen sagte Perihan: »Ja,
gut!«
Wieder schwiegen sie.
»Und in welchen Film?«
Perihan zuckte nur die Schultern.
Refık dachte: »Eigentlich will
sie gar nicht.«
»Sind die Zeitungen unten?« fragte
er. »In der İpek soll
was Interessantes drinstehen …« Perihan nickte. »Na, dann schaue ich mal
runter!« sagte Refık, aber er rührte sich nicht von der Stelle. Er kam
sich antriebslos vor, unfähig zu jeder Bewegung. »Sollen wir jetzt ins Kino
oder nicht?« dachte er, völlig unentschlossen. Was Perihan ihm erzählt hatte,
hatte ihn doch ziemlich ungerührt gelassen. Er wollte über sich selbst und
seine Lage gar nicht nachdenken, und das kam ihm nicht einmal schlimm vor. In
diesem Haus gab es eben ständig Möglichkeiten, sich von seinem Unbehagen
abzulenken. Sobald er über sich selbst, über Perihan, seine Ehe oder gleich das
ganze Leben auch nur irgendwie ins Grübeln kam, konnte er sofort mit seiner
Mutter scherzen, mit den Neffen spielen oder unten mit irgend jemandem ein
Schwätzchen halten. So ging er also hinunter und traf auch gleich seinen Vater
an, der gerade Osman etwas erzählte. Refık hörte zu und merkte schon bald,
dass sein Unwohlsein sich verflüchtigte.
10
EIN BRIEF AUS DEM OSTEN
Wenn Nazli von der Universität nach Hause kam,
stieß ihre Tante Cemile immer einen Laut des Entzückens aus, wie er sich mit
Worten kaum wiedergeben lässt. Diesem Überschwang, an den Nazli schon gewöhnt
war, folgte dann erst der verständlichere Teil von Cemiles Ausführungen.
»Da bist du ja! Da bist du ja, mein
Mädchen! Hat dich nicht gefroren heute?«
»Nein, überhaupt nicht.« Sie zog
Mantel und Schuhe aus und holte ihre Pantoffeln aus dem Schuhschrank.
»Heute morgen bin ich nach Taksim
rauf, um Kohl zu kaufen, was hat es mich da gefroren! Bald wird es schneien!«
»Ach, so kalt ist es auch wieder
nicht!« sagte Nazli. Dann dachte sie: »Ich bin wie ein Mann! Ich muss sie
trösten und ihr gut zureden!«
»Und heute morgen wärst du ums Haar
mit dem dünnen Regenmantel aus dem Haus!«
Nazli gab keine Antwort. Sie zog
sich um und dachte dabei an ihren Vormittag zurück. Die Literaturfakultät in
Vezneciler war im Zeynep-Hanım-Konak
untergebracht. Die beiden Kurse, die sie besucht hatte, waren nur so
dahingeplätschert; in dem einen war geredet, im anderen übersetzt worden.
Danach war sie mit ein paar männlichen Kommilitonen, die ihr gegenüber gerne
den Beschützer spielten, bis zum Springbrunnen von Beyazıt gegangen und dort in die Trambahn
gestiegen, unter deren Gerüttel sie grübelnd nach Hause gefahren war.
Als sie umgezogen war, ging sie in den
Salon, gleich gefolgt von Cemile. Während sie ihren Tee tranken, erzählte die
Tante, was sie so erlebt hatte. Die Katze sei in den Schuhschrank gekrochen und
dort steckengeblieben. Stundenlang sei das arme Tier so gefangen gewesen, bis
es endlich jemand bemerkt habe. In einer Zeitung sei von Nazlis Vater die Rede.
Und von Ömer sei ein Brief eingetroffen. Letzteres verkündete Cemile mit ganz
besonderem Timbre in der Stimme.
Nazli schlug die Zeitung auf und
las: »Kulturleben in Manisa: Um das Volkshaus von Manisa herum entsteht ein
regelrechtes Kulturzentrum. Neben dem letztes Jahr eröffneten Kinosaal, der
auch als Veranstaltungsraum für Theaterabende, Schulaufführungen und
Versammlungen dient, steht nunmehr ein Bibliotheksgebäude. Eingeweiht wurde die
Bibliothek vom Abgeordneten von Manisa, Muhtar Laçin.«
»Hast du’s gelesen?«
»Jaja.«
»Na siehst du!« Cemile wiegte den
Kopf hin und her, als gäbe es Grund für höchstes Erstaunen. Sie hätte gerne
über die Zeitungsnachricht mit Nazli ein wenig geredet, in der Hoffnung, dann
im gleichen Plauderton zu Ömers Brief überleiten zu können.
»Wenn die Manisa-Post kommt,
sehen wir auch die Bilder davon«, sagte Nazli.
»Ich denke, der Platz dort sieht
jetzt richtig manierlich aus. Jammerschade, ich war seit Jahren nicht mehr
dort!«
»Aber du kannst doch hinfahren,
Tantchen!« sagte Nazli. So beiläufig wie möglich fragte sie dann: »Wo ist
eigentlich der Brief?«
»Ich habe ihn in dein Zimmer gelegt.
Warte, ich hole
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