Cevdet und seine Soehne
durch den Regen rennen?«
Er stieg aus, ging erst nur ziemlich
schnell, bis er dann doch anfing zu rennen. »Da bin ich nur kurz ins Büro, um
mich sehen zu lassen, und jetzt laufe ich hier im Regen herum!« dachte er
wütend. Davon kam doch die ganze Misere: dass er sich mit dem Alltäglichen
begnügte. Er wollte nur immer von Widrigkeiten wie jetzt ebendiesem Regen unbehelligt
bleiben. Er wich Pfützen aus, achtete darauf, dass seine Hose nicht
vollgespritzt wurde, und lief an Leuten vorbei, die sich irgendwo untergestellt
hatten.
Wie unter einer plötzlichen
Eingebung verlangsamte er seine Schritte, obwohl es eher noch stärker regnete.
»So ein Unsinn!« Er beschloss, sich selber unterzustellen, doch kam er gerade
an niedrigen Gartenmauern vorbei, die nirgendwo Schutz boten. Er lauschte auf
das Rauschen des Regens und sah auf die leere Straße.
Ein Taxi kam heran. »Ja, wenn ich
doch wenigstens ein Taxi finden würde!« Da war ihm, als hörte er eine vertraute
Stimme. Verdutzt wandte er sich um: Es war niemand anders als Perihan. Eilig
stieg er ein.
»Du bist ja völlig durchnässt«,
sagte Perihan.
Da begann seine Mutter auch schon zu
erzählen: Sie hätten Ayşe in Beyoğlu abgeholt, sich dann bei Lebon
mit Leyla getroffen, seien dann, als es zu regnen anfing, in ein Taxi
gestiegen, hätten damit Leyla nach ,Şişli gebracht, und dann seien
sie nicht wenig überrascht gewesen, im strömenden Regen auf Refık zu
stoßen. Sie redeten, scherzten und sagten immer wieder lachend, wie nass doch
Refık sei. Eine glückliche Familie: Refık spürte, dass das Glück ihn
umfing wie eine warme, weiche Decke. Er lebte wieder auf und begann selber zu
scherzen.
Zu Hause ging er mit Perihan in den
ersten Stock hinauf und merkte, dass er Lust auf Kindereien hatte. Als Perihan
ihm mit einem Handtuch den Kopf abtrocknete, meuterte und prustete er wie ein
kleiner Junge. Beim Umziehen alberte er noch mehr herum, und als er Perihan
darüber lachen sah, kam er erst recht in Fahrt: Er zog die Tagesdecke vom Bett,
hüllte sich hinein und mimte einen verängstigten Senator im von Hannibal
bedrängten Rom, was die an ihrer Frisierkommode sitzende Perihan äußerst
belustigte. »Da lachen wir zusammen, und gerade vorhin noch bin ich missmutig
durch den Regen gehetzt.« Es tat ihm gut, diese Fröhlichkeit in sich zu spüren.
Da klopfte es, und Emine brachte den Tee. »Vorbei!« dachte Refık. »Vorbei
mit dem Übermut. Jetzt werde ich brav meinen Tee trinken, und die Vernunft wird
wieder die Oberhand gewinnen.«
Sie saßen nebeneinander, Refık
in seinem Sessel am Fenster und Perihan mit den Ellbogen auf die Kommode
gestützt, in deren Spiegel sie hin und wieder sah. Refık fühlte sich nun
wie eine sanft schnurrende Katze. »Ich habe mich wieder darauf besonnen, dass
ich ein biederer Bürger bin, der in der Firma seines Vaters arbeitet, sich dort
Tag für Tag so früh wie möglich davonstiehlt und nun mit seiner Frau im
Jugendstilschlafzimmer sitzt!« Er blickte auf das große Bett und auf den
Schlafzimmerschrank, dessen sanft geschwungene Linien an die Bullaugen eines
Schiffes erinnerten. »Ein braver, biederer Bürger! Wohlsituiert und bei bester
Gesundheit. Aber ich beklage mich ja auch gar nicht: Ich führe eben ein
seriöses Leben!« Ganz in der Nähe blitzte es, und sie sahen beide zum Fenster
hinaus. Im Garten hinter dem Haus zitterten die Kastanienbäume im Wind.
»Was hast du heute gemacht?« fragte
Perihan.
Refık dachte: »Das fragt sie
doch jeden Abend! Als wäre es reiner Spott!« Dabei wusste er, dass er ihr nicht
so leicht böse sein konnte.
»Nichts Besonderes. Das Übliche eben!«
Sie schwiegen. »Wie immer!« seufzte
Refık innerlich.
»Na ja, ich bin heute morgen mit
Papa und Osman gemeinsam losgefahren und habe im Büro erst mal Zeitung gelesen,
dann ein paar Papiere durchgesehen und eine Bestellung nach Deutschland
geschickt. Mittags sind wir zusammen in ein Lokal in Sirkeci gegangen. Nach dem
Essen habe ich mit Osman etwas besprochen und dann mit dem Buchhalter
Sadık Kaffee getrunken und mich ein wenig mit den Bilanzen beschäftigt.
Danach bin ich aus dem Büro raus, zu Fuß über die Brücke und in die Trambahn.
Beim Aussteigen hat mich dann der Regen erwischt.«
Er sah Perihan eindringlich an, als
wollte er von ihrem Gesicht ablesen, wer seine Frau eigentlich war … Als
Perihan ruckartig ihre Haare zurückwarf, kam er wieder zu sich.
»Und was hast du so gemacht?«
»Ich?« gab sie verwundert
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