Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
Vom Netzwerk:
fröhlich und aufgedreht wie immer. Kaum hatte
sie Tee und Kuchen bestellt, legte sie schon los.
    Sie war mit ihrer Familie gerade
erst von ihrem Sommerhaus in Suadiye nach Şişli zurückgezogen. Da sie
sich den Sommer über nicht gesehen hatten, hatte sich
einiges Berichtenswerte angesammelt. Zuerst musste sie von zwei Hochzeiten
erzählen, die gegen Ende des Sommers stattgefunden hatten. Nigân seufzte, weil
sie zu beiden nicht hatte gehen können, doch als sie dann hörte, wie es dort
zugegangen war, freute sie sich, nichts Nennenswertes versäumt zu haben. Dann
wurde über den englischen König geredet, der Anfang September auf Staatsbesuch
dagewesen war. Leyla erzählte, sie habe den König zusammen mit Atatürk gesehen,
als sie in Moda einem Segelwettbewerb beiwohnten, und der König habe dabei
einen hellgrauen Sportanzug getragen. Es sei eine Frau an seiner Seite gewesen,
aber nicht seine Ehefrau, und darüber sei viel getuschelt worden. Auch Nigân
hatte den König gesehen und konnte also etwas erzählen: Als er nämlich wiederum
zusammen mit Atatürk vom Dolmabahçepalast
nach Beyoğlu hinaufgefahren sei, sei er an ihrem Haus vorbeigekommen. Er
habe einen dunkelgrauen Anzug mit weißen Streifen getragen, ein hellgraues Hemd
und eine schwarze Krawatte. Die ganze Familie habe draußen im Garten gewartet
und dann geklatscht, als der Wagen vorbeifuhr. Leyla sagte, der König habe in
Wirklichkeit besser ausgesehen als auf den Zeitungsfotos, doch an Atatürk sei
er nicht herangekommen. Sie beschlossen, noch einen Tee zu trinken. Dann
berichtete Leyla von ihren Einkäufen in Beyoğlu: Auch sie habe nichts
Anständiges gefunden. Nigân stieß einen theatralischen Seufzer aus, und die
beiden waren sich schnell einig, dass es in der Türkei bald überhaupt nichts
mehr geben werde. Leyla sagte, für den Winter habe sie eine Europareise
geplant, worauf Nigân gleich ganz trübselig wurde: Da sei Cevdet jahraus,
jahrein mit nichts anderem beschäftigt, als zwischen der Türkei und Europa
Waren hin- und herzuschicken, aber dass er einmal selber dort hinführe … Seit
ihrem Berlinaufenthalt vor Jahren seien sie nirgends mehr hingekommen. Die
Kellnerin brachte den Tee. Nigân schaute zu Ayşe hinüber: Ihren Kuchen
hatte sie nicht angerührt, und ihre Teetasse war noch voll. Da konnte Nigân
nicht an sich halten.
    »Dein Tee wird kalt! Trink ihn jetzt
endlich!«
    Dann aber dachte sie: »Jetzt habe
ich Leyla unterbrochen!« Leyla hatte sich lächelnd Ayşe zugewandt. Wieder
dachte Nigân: »Verheiratet muss sie werden!« Sie merkte, dass sie das Mädchen
am liebsten irgendwie bestraft hätte. Resigniert sagte sie zu Leyla: »Weißt du,
was sie vorhin gesagt hat? Dass wir sie vom Klavierunterricht nicht mehr
abholen sollen!«
    »Ach ja, hat sie das gesagt?« lachte
Leyla.
    Das stieß Nigân auf. Es nahm einen
doch keiner ernst. Man konnte sagen, was man wollte.
    »Ja, das hat sie gesagt. Perihan ist
Zeugin.«
    Sofort wurde ihr klar, wie naiv das
geklungen hatte. »Ich kann nicht einmal mehr meine Tochter richtig
ausschimpfen!« Aber sie hatte eben unüberlegt geredet. »Mit Remzi muss sie
verheiratet werden!« Obwohl, das war vielleicht auch nicht der Richtige. Es
herrschte ein schummriges, unangenehmes Licht in der Konditorei. Leyla und
Perihan unterhielten sich nun über eine gemeinsame Bekannte. »Ich will nach
Hause!« dachte Nigân. Sie wollte zu Cevdet. Abends würde es Cevdets geliebtes
Auberginenragout geben. Sie versuchte sich mit solchen Gedanken abzulenken. Sie
beschloss, in der Konditorei noch kandierte Früchte zu kaufen. Nur welche? Ihre
Mutter hatte damals in dem Konak in Teşvikiye den ganzen Winter über immer
kandierte Birnen gegessen. Das war eine tröstliche Erinnerung. Draußen blitzte
es, und ein blauer Schein durchfuhr den Laden. An die Scheibe klopfte erster
Regen. »Wir fahren mit dem Taxi heim!« dachte Nigân. Sie merkte, dass sie
wieder blinzelte.

9
  EIN TAG GEHT ZU ENDE
    Als die Trambahn in Harbiye hielt, dachte
Refık: »Ich fahre lieber bis Osmanbey und gehe von da zurück nach
Nişantaşı!« Beim Einsteigen in Eminönü hatte es nur leicht
genieselt, in Karaköy dagegen schon richtig geregnet, und ab Şişhane
war ein Wolkenbruch niedergegangen, der immer noch anhielt. Hin und wieder
blitzte es, und die hin und her schaukelnden Fahrgäste warteten auf das
Donnern, als wären sie bei einem Sturm auf hoher See. Als sie sich Osmanbey näherten, regnete es unvermindert
stark. »Soll ich etwa

Weitere Kostenlose Bücher