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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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ihn dir!«
    »Nein, nein, das mache ich schon!« erwiderte
Nazli, stand aber keineswegs auf. Ihre Tante sollte ihr nicht zusehen, wenn sie
den Brief las. So trank Nazli einfach weiter ihren Tee und blätterte in der
Zeitung.
    Cemile wollte wieder darauf zu
sprechen kommen, was die Katze für Unfug trieb, doch die Stimmung war irgendwie
dahin, und die beiden saßen da, als erwartete die eine von der anderen eine
Entschuldigung dafür, dass ihre Unterhaltung nicht lebhafter wurde. Nazli war
es, als dächte ihre Tante nicht weniger an Ömers Brief als sie selbst.
    Seit Anfang April und damit seit
sieben Monaten schrieb Ömer Nazli regelmäßig Briefe. Gegen Ende des Sommers
hatte es noch geheißen, er werde bald einmal nach Istanbul kommen, doch dann
hatte er geschrieben, den ganzen Winter über werde er bei dem Tunnelbau so
eingespannt sein, dass an einen Besuch nicht zu denken sei. In seinen ersten Briefen hatte Ömer
in ironischem Ton von der Baustelle berichtet, auf der er tätig war, von den
Kollegen und all dem, was er dort so erlebte. In einem Brief, den er ihr nach
Ankara geschrieben hatte, war er wieder auf seine bereits geäußerten
Erobereranwandlungen eingegangen. Er erzählte auch von einem deutschen
Ingenieur auf einer anderen Baustelle, den er manchmal besuchte. In einem Brief
an Cemile bat er diese nochmals darum, ihm beim Verkauf seiner Läden und
Grundstücke behilflich zu sein, und tatsächlich wurden dann mit Unterstützung
von Ömers Schwager in Bakırköy und zur Bestürzung Cemiles sämtliche
Immobilien Ömers veräußert und in Bargeld umgewandelt.
    Nazli trank ihren Tee fertig und
ging auf ihr Zimmer. Dort nahm sie den Brief vom Schreibtisch und setzte sich
damit auf den Bettrand. Der Brief war leichter als die zuletzt eingetroffenen,
so dass er wohl nur ein einziges Blatt enthielt. Nazli gingen unerfreuliche
Gedanken durch den Kopf.
    In den letzten Briefen hatte Ömer
vor allen Dingen von sich selbst erzählt. Das mochte daran liegen, dass den
Winter über nur im Tunnelinneren gearbeitet wurde und es von der somit viel
weniger bevölkerten Baustelle nicht viel zu berichten gab. Die Art von Ömers
Selbstschilderung gab Nazli indes Anlass zur Beunruhigung. Ömer klagte darüber,
dass er einsam und die Freundschaft mit dem deutschen Ingenieur nicht so ganz
befriedigend war. Nazli kam es so vor, als hätte Ömer gute Lust, ihr so richtig
sein Herz auszuschütten, doch als fürchtete er, dabei auch Hässliches zutage
treten zu lassen, so dass er es einstweilen mit Andeutungen bewenden ließ. Da
Nazli allein diese schon Furcht einflößten, hatte sie seine letzten Briefe mit
besonderer Sorgfalt beantwortet. Unter anderem hatte sie ihm sehr ans Herz
gelegt, sich doch ja nicht aufs Trinken zu verlegen. Danach war sie zwar stolz
gewesen, sich zu so einem Ratschlag durchgerungen zu haben, doch hatte sie
deshalb auch ein wenig Scham empfunden. Aus ihrem bisschen Lebens- und
Literaturerfahrung heraus vermochte sie sich ja vorzustellen, dass einem gerade
aus Europa zurückgekehrten Ingenieur in einsamen Provinznächten der Alkohol
durchaus ein Trost sein konnte.
    Mit einem Stift riss sie den
Umschlag auf und begann zu lesen:
    30. Oktober 1936
    Liebe Nazli,
    bevor ich noch die Antwort auf
meinen letzten Brief bekommen habe, schreibe ich Dir schon diesen hier. Du
wirst Dich über das, was Du hier zu lesen bekommst, sicher sehr wundern. Ich
habe nun schon so oft zu diesem Brief angesetzt und die Blätter alle wieder
zerrissen. Diesen Brief hier schicke ich jetzt ganz einfach ab. Ich habe ein
bisschen Wein getrunken und bin guter Laune. Hier im Zimmer brennt eine
Gaslampe, und der Ofen brummt. Im Nebenraum schnarcht einer! Also, pass auf;
was ich Dir schreiben will, ist folgendes: Ich habe sehr lang nachgedacht und
bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich Dich heiraten will. Was sagst Du dazu?
Ich finde, es ist eine gute Idee! Sie steht in keinem Widerspruch zu all meinen
großen Plänen! Schreib mir bitte Deine Antwort. Du brauchst Dich damit nicht
direkt zu beeilen, aber zaudere auch nicht allzulange. Bis ich Deine Antwort
bekomme, werde ich Dir nämlich nicht mehr schreiben, sondern nur noch warten.
Du kannst Dir vorstellen, wie schwer mir das fällt! Aber damit will ich wohl
Dein Mitleid erregen … Ach, was ist das nur für ein furchtbarer Brief
geworden! Aber was soll’s, ich schicke ihn ab, denn das habe ich mir nun
tausendmal geschworen und mir immer wieder gesagt, was für ein Unsinn es wäre,
jetzt

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