Cevdet und seine Soehne
gekommen, rief er dann lebhaft aus: »Bei Nazlıs Mutter und mir
war es eine arrangierte Heirat!« Dann fuhr
aber gleich wieder ein Schatten über sein Gesicht. »Dass ich so verdutzt wirke,
liegt aber nicht daran. Ich bin seit jeher auf der Seite des Fortschritts!« Er
sah zu Refet hinüber. »Refet und ich haben uns deswegen im Parlament schon so
manches anhören müssen. Wir führen einen Kampf!« Als er dann erzählte, was er
als Gouverneur alles mitgemacht hatte, um gegenüber den religiösen Fanatikern
die neuen Kleidervorschriften durchzusetzen, war seine Melancholie wie
weggeblasen.
Cüneyt und Macide waren über die
Sprunghaftigkeit von Nazlıs Vater einigermaßen verblüfft. Während sie ihm
zuhörten, achteten sie weniger auf seine Worte als vielmehr auf die
überbordende Gestik.
Ömer dachte: »Die werden ihn für ein
bisschen wunderlich halten!«, doch musste er sich eingestehen, dass er seinen Schwiegervater
in spe eigentlich auch so sah. »Nun ja, er ist eben jovial!« Dann sah er zu
Nazi’, die ihrem Vater aufmerksam zuhörte. Refet saß geradezu mit offenem Mund
da. »Ich darf nicht immer nur über mich nachdenken. Ich muss versuchen,
wenigstens ein bisschen so wie sie zu werden! Mich von der Fröhlichkeit
anstecken lassen!« Am liebsten hätte er seinen Ehrgeiz einmal vergessen und
seinen Stolz und sein ganzes Bewusstsein ausgelöscht, um sich der gemütlichen
Kachelofenatmosphäre restlos hinzugeben. Als er gerade meinte, nun sei ihm das
gelungen, und zufrieden im Zimmer umhersah, erblickte er aber den Diener, der
ihnen durch den Türspalt zusah, und schon war er wieder der
Schwiegersohnanwärter. Ergeben lauschte er daraufhin Muhtars Reminiszenzen an
Manisa. »Es musste ja so kommen!« dachte er, wollte aber nicht allzu hart mit
sich selbst ins Gericht gehen.
Cüneyt fragte Muhtar: »Waren Sie
eigentlich schon mal in Europa?«
»Nein, nie die Gelegenheit gehabt!« erwiderte
Muhtar seufzend. »Dabei sollte man das unbedingt … Ich hoffe ja sehr, dass
Nazli einmal hinkommt!« Wohl aus Furcht, seine Gäste könnten das missverstehen,
winkte er dann schnell dem Diener, der gerade mit einem Tablett in der Hand
eintrat: »Wir sollten jetzt schön langsam zu Tisch gehen!«
Und so gingen sie schön langsam zu
Tisch …
14
AN DER FRISCHEN LUFT
»Ein Gespenst!« Seit Ziyas Besuch war schon ein Monat
vergangen, und dennoch wurde Cevdet den Gedanken an seinen Neffen nicht los. »Ein
ordentragendes, nach Alkohol stinkendes, erpresserisches Gespenst!« Er stand
vor dem großen Spiegel neben der Haustür. »Wann er wohl wiederkommt?« Nachdem
er seinen hustenden Onkel verlassen hatte, war er gleich am folgenden Tag
wiederaufgetaucht, und Cevdet hatte ihm erklärt, er sei gar nicht in der Lage,
ihm etwas zu geben. Cevdet hatte dann Osman kommen lassen, und von dem bekam
Ziya zu hören, die Firma verfüge kaum über liquide Mittel, und was vorhanden
sei, werde unbedingt für den Transfer der Büros von Sirkeci nach Karaköy
benötigt. Ziya hatte diese Erklärung grummelnd über sich ergehen lassen, im
Weggehen Cevdet aber doch noch zugeflüstert, er werde keine Ruhe geben.
»Mit welchem Recht nur?« Cevdet
besah im Spiegel seinen alternden Körper. »Was untersteht sich der Kerl?«
»Wir sind gleich soweit!« rief Nigân
von oben.
Sie wollten mit ihren Enkeln zu
einem Spaziergang aufbrechen, doch wie üblich war Nigân nicht rechtzeitig
fertig. Cevdet hörte seine Enkel die Treppe herunterpoltern.
Im Spiegel sah Cevdet, dass sein
Buckel noch weiter hervorstand und sein Hals immer kürzer wurde. Das war immer
wieder der Eindruck, den er vor dem Spiegel hatte. »Die sollen mich nicht als
abstoßenden Alten sehen!« Er setzte seinen Hut auf und warf noch einen letzten
Blick in den Spiegel: Seit Jahren war er an dieses alte Gesicht und an die
Kopfbedeckung gewöhnt, und längst vergessen war, wie er als junger Mensch mit
dem Fes auf dem Kopf ausgesehen hatte. Dennoch gab es ihm jedesmal wieder einen
Stich.
Man schrieb Ende Februar. Das
Opferfest war drei Tage vorbei, doch der Schnee, der damals gefallen war, hielt
sich noch immer. Cevdet ging nun zwischen Haus- und Gartentür hin und her.
»Wie kann er sich nach all den
Jahren erdreisten, seinem alten Onkel Geld abpressen zu wollen?«
dachte er. »Nehmen wir an, die Frau, in die er sich da verliebt hat, hat ihn um
den Verstand gebracht, so dass er bereit wäre, alles für sie zu tun; aber wie
ist er ausgerechnet auf dieses Mittel verfallen, um zu
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