Cevdet und seine Soehne
Nigân in das riesige Haus eingezogen. Sie hatten ein
Dienstmädchen und einen Koch eingestellt. Und als sein Bruder gestorben war,
hatte er diesen stillen, bleichen Jungen aufgenommen, der einen immer so schräg
ansah. Soldat wollte er werden. Da hatte Cevdet eines Tages zu ihm gesagt:
»Nun, wenn du schon Soldat werden willst, dann geh doch an die
Militärakademie!« Damals war gerade Osman auf die Welt gekommen, und das Haus
war von Freude erfüllt. Die verschlagene Art hingegen, in der Ziya immer
umherschlich, als sei er ein Fremder, erinnerte Cevdet an frühere, an kalte
Zeiten. Kaum war Ziya dann fort, war fast mit Händen zu greifen, wie es in dem
Haus in Nişantaşı sogleich noch herzlicher zuging. »Von Anfang
an gefiel er mir nicht!« Cevdet war in der Stimmung, sich seine Sünden zu
vergeben. Tief atmete er durch.
Hin und wieder musste er
stehenbleiben, um wieder zu Atem zu kommen. Bei seinem letzten Arztbesuch hatte
Doktor İzak verlauten lassen,
es könne mit seinen Lungen etwas nicht in Ordnung sein. Er brauche daher viel
frische Luft. Das war ihm ein willkommener Vorwand gewesen, um nicht mehr in
die Firma zu gehen. Dass er nicht mehr jeden Tag zu kommen brauche, hatten ihm
Osman und Refık eines Tages ohnehin schon ausführlichst
auseinandergesetzt. Auch Cevdet selbst war zu dem Schluss gekommen, dass sein
Gesundheitszustand den ehrenvollsten Weg böte, sich aus der Firma allmählich
zurückzuziehen. Damit hatte er so sehr seinen Frieden gemacht, dass nun,
während er tief Luft holte, solche Gedanken ihn in keiner Weise
beeinträchtigten.
Auf dem gegenüberliegenden Gehsteig
kam ein stattlicher Mann vorbei. Als er die Spaziergänger erblickte,
verlangsamte er seine Schritte und nahm seinen breitkrempigen Filzhut zu einem
ausladenden Gruß ab, sich dabei auch leicht verbeugend. Cevdet grüßte zurück
und erkannte erst da, um wen es sich handelte, nämlich um den Rechtsanwalt
Cenap. Er dachte, dass Anwälte doch recht unregelmäßige Arbeitszeiten hatten, und
sah auf die Uhr: Es ging auf elf zu. Um diese Zeit in Maçka unterwegs zu sein,
hatte für einen Mann fast etwas Ehrenrühriges an sich, denn dies war eher die
Stunde der Hausfrauen, Rentner und Müßiggänger. Doch tat er selbst ja noch
allerhand anderes, was unbeschäftigte Menschen so trieben: Er hörte Radio,
scherzte mit seinen Enkeln herum, pflanzte im Garten die seltsamsten Gewächse,
deren lateinische Namen er auswendig lernte, um sich bei Tisch damit zu
produzieren. Aber eine wichtige Aufgabe hatte er doch noch: Er arbeitete an
seinen Memoiren. Zwar hatte er noch keine Zeile niedergeschrieben, aber mit dem
Materialsammeln hatte er begonnen und auch einen Namen für das Buch gefunden,
das er zu veröffentlichen gedachte: Ein halbes Jahrhundert Kaufmannsleben! Von
seinen Anfängen als Holzhändler bis jetzt würde er alles erzählen und das Ganze
mit Fotos, Dokumenten und Artikeln anreichern.
Auf Höhe der Kaserne begegneten sie
zwei jungen, gutgekleideten Frauen, die fröhlich plaudernd ihre Kinderwagen
schoben. Sie grüßten Cevdet und wechselten ein paar Worte mit Nigân. Die eine
gab beiden Enkeln einen Kuss, und Nigân beugte sich über die Kinderwagen und
liebkoste die Babys.
Als sie dann die Allee
entlanggingen, gab Nigân ihre Erläuterungen ab: »Die Größere ist die
Schwiegertochter von Saffet und die andere ihre Schwester. Beide haben erst
letzten Sommer geheiratet!« Die Größere sei davor schon mit jemand anders
verlobt gewesen.
Plötzlich kam Cevdet wieder das
»Gespenst« in den Sinn. Sie gingen über das mit Steinen übersäte Gelände, auf
dem man zu Zeiten von Sultan Abdülaziz einmal das Fundament zu einer später nie
gebauten Moschee gelegt hatte. Nigân sprach noch immer von den beiden Frauen,
und in der Ferne sah man das Meer und die Prinzeninseln. »Das Gespenst! Ich
werde den Kerl nicht los! Ob ich ihm nun Geld gebe oder nicht, ich werde ihn
nicht los, und das weiß er ganz genau. Und deshalb verlangt er ja auch das Geld
ausgerechnet von mir!« Es wehte ein kalter, trockener Wind. Cevdet lehnte sich
an Nigân, die sich daraufhin wie eine Katze an ihren Mann schmiegte. Die beiden
Enkel waren mit einem Schneehaufen beschäftigt, der noch einigermaßen sauber
geblieben war. Sie waren ganz in ihr Spiel vertieft und hatten ihre Großeltern
vergessen. »Mit mir ist es aus und vorbei!« dachte Cevdet und drückte
Nigâns Arm. Um zu vergessen, sah er aufs Meer. »Ich werde alles nicht los! Den
Holzladen, Haseki, das
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