Cevdet und seine Soehne
Häuser stehen. Ömer war
ganz aufgeregt, als er zwischen den Bäumen hindurch im Wohnzimmer das Licht
brennen sah. Schon am Vortag war er bei Nazli gewesen, und nun sollte wie
geplant um ihre Hand angehalten werden.
Sie läuteten, und sofort wurde ihnen
die Tür geöffnet.
Ömers Onkel stellte sich gleich vor:
»Ich bin Cüneyt, und das ist meine Frau Macide«, doch der schlanke,
hochgewachsene Mann an der Tür war nicht Muhtar selbst.
»Mein Name ist Refet. Die anderen
sind noch oben, aber sie wissen schon, dass Sie eingetroffen sind. Ich stand
nur ganz zufällig an der Tür. Sie sind bestimmt Ömer. Angenehm! Ich bin eine
Art Onkel von Nazli. Kommen Sie doch herein!«
Ömers Tante verzog das Gesicht, als wollte
sie sagen: »Was ist denn das für ein alberner Schwätzer!« Sie gingen auf die
Treppe zu.
Oben stand auch schon Muhtar und
ging ein paar Stufen hinunter, doch besann er sich dann, als wollte er nicht im
Weg stehen, und stieg wieder ganz hinauf, wo er sich suchend umsah. Als er
Nazli erblickte, schien er aufzuatmen. »Bitte schön! Kommen Sie doch herauf!«
Ömer sagte: »Onkel Cüneyt, das ist
Nazli!« Die beiden schüttelten sich schon die Hand. »Das ist meine Tante
Macide!«
»Ich kann mich vage an Sie erinnern«,
sagte Nazli.
Auch Muhtar und Cüneyt gaben sich
die Hand. Auch sie hatten etwas verkrampft Übersteigertes an sich. Keiner
schien er selbst sein zu können.
»So, bitte schön, nach Ihnen!«
flötete Muhtar und überhäufte den Diener, der die Mäntel entgegennahm, mit
Anweisungen.
Nazli griff zu Macides Mantel, die
aber wehrte höflich ab, und so ging es vor dem Garderobehaken ein wenig hin und
her.
Beim Betreten des Wohnzimmers sagte
Macide: »Wir kommen doch hoffentlich nicht zu spät?«
»Überhaupt nicht!« beschwichtigte
Muhtar. »Aber Sie sitzen ja ganz am Rand, kommen Sie doch lieber hierher!«
»Ich sitze wunderbar hier, vielen
Dank!« sagte Macide und blieb stoisch sitzen, denn obwohl ihr Sessel etwas abseits
plaziert war, ließ sich Nazli von dort am besten begutachten. Ömer entging das
nicht, und mit gemischten Gefühlen nahm er auf, dass er selbst direkt neben
Muhtar saß.
Nach einem kurzen Schweigemoment
setzte Refet seine zuvor unterbrochenen Ausführungen fort. »Das ist ja
überhaupt ein Zufall heute! Ich bin hier vorbeigekommen und dachte mir, schaust
du mal rein. Dass Sie heute eintreffen würden, davon wusste ich gar nichts!« Er
setzte eine entschuldigende Miene auf.
»Aber ich bitte Sie«, wehrte Cüneyt
ab. »Wir haben Sie doch nicht warten lassen?«
»Nein, nein!« sagte Muhtar. »Ihre
Frau hat ja auch schon gefragt, aber wirklich nicht. Ich habe sogar zu Nazli
gesagt …«
Als Macide merkte, dass von ihr die
Rede war, wandte sie hastig ihren forschenden Blick von Nazli ab. »Wir dachten
schon, dass wir es nicht mehr rechtzeitig schaffen!« sagte sie. Und widmete
sich wieder Nazli.
Die war schon leicht errötet. Ömer
wagte kaum, zu ihr hinzusehen. Dass seine Tante Nazli so unverhohlen anstarrte,
ärgerte ihn. »Was sie wohl von ihr hält?« Er merkte, dass ihm das Urteil seiner
Tante nicht unwichtig war.
Der Diener kam herein, und Muhtar
fragte: »Mit wieviel Zucker möchten Sie Ihren Mokka?« Sie gaben Antwort, und
gleich darauf versiegte das Gespräch wieder.
Sie saßen in einem erkerartigen Raum
mit niedriger Decke. An der Wand hing ein aufwendig gerahmtes Ölgemälde, eine
Ansicht von Venedig. Ömer sah von seinem Platz aus den im Esszimmer hängenden
vergoldeten Koranspruch. In einer Ecke befand sich eine perlmuttverzierte
Turbanablage. Alles wirkte so ganz an seinem Platz, wie in Erwartungshaltung.
Dumpf tickte eine Wanduhr. Macide wandte die Augen nicht von Nazli. »Ich hocke
da wie ein dummes Schaf!« dachte Ömer und merkte dann, dass er ganz schief
dasaß.
»Wie gefällt Ihnen denn Ankara so?«
fragte Muhtar.
»Ach, wir haben ja noch kaum etwas
gesehen!«, erwiderte Macide und lachte dazu, als hätte sie etwas ganz
Überraschendes und Originelles geäußert. »Wir sind ja auch erst gestern mittag
angekommen. Aber es ist wirklich kalt hier!«
»Tja, kalt ist unser Ankara schon!«
sagte Muhtar. »Vor allem momentan. Glauben Sie mir, wir haben ganz schön
gefroren heute, meine Kollegen und ich!«
»Entschuldigen Sie schon, dass ich
nachfrage, aber was für Kollegen sind das gleich wieder?« Aber kaum hatte sie
fertiggesprochen, da merkte Macide schon ihren Fauxpas und rief aus: »Ach ja,
natürlich!«
»Die Parlamentskollegen meine
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