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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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heute
hier sind«, sagte Cüneyt schließlich. Er schlug einen verbindlichen, keineswegs
anmaßenden Ton an. »Ihre Tochter und mein Neffe haben sich ja schon geeinigt.«
    Ömer dachte: »Er macht das wieder
mal betont nüchtern!« Sein Onkel hatte ein Faible dafür, in etwas angespannten
Situationen, in denen sich eine dezente Herangehensweise empfahl, vielmehr ganz
bewusst entschlossen zur Sache zur gehen und das, was man zwar dachte, aber
lieber für sich behielt, offen auszusprechen. Ömer gegenüber hatte er das
einmal so erklärt, dass er nun mal gegen jede Heuchelei sei, doch Ömer hatte
ihn schwer im Verdacht, gerade in solchen Anfällen pragmatischer Nüchternheit
noch mehr zu heucheln als sonst.
    »Sie haben sich also beredet und
ihre Entscheidung schon getroffen. Sind ja auch zwei vernünftige junge Leute.
So finde ich, dass wir da gar nichts mehr mitzureden haben. So sollte es, denke
ich, sein, nicht wahr? Da sie vernünftig sind und … und gebildet, bleibt uns
nichts übrig, als ihre Entscheidung richtig zu finden.« Das war so nachdenklich
gesprochen, als sei er gerade dabei, die Sache mit sich selbst abzumachen. Er
mochte das Gefühl haben, es mit der Nüchternheit übertrieben zu haben, und
setzte hinzu: »So ist es doch, oder?«
    »Wie bitte? Ach ja, natürlich!«
sagte Muhtar.
    »Und so frage ich Sie nun: Sind Sie
damit einverstanden, dass mein Neffe Ihre Tochter heiratet?«
    Muhtar stutzte, als hätte er gerade
etwas völlig Unerwartetes vernommen. Er rutschte in seinem Sessel herum und
blickte sich hilfesuchend zu Nazli um. Ömer tat es leid, ihn so unruhig zu
sehen, und hätte sich bei dem Mann am liebsten dafür entschuldigt, ihn
überhaupt in eine solche Situation gebracht zu haben.
    Schließlich sagte Muhtar leise:
»Erst ist ihre Mutter von mir gegangen und nun auch noch sie!« Er wirkte einsam
und verzagt.
    »Bis zur Hochzeit ist es ja noch
eine ganze Weile hin!« erwiderte Cüneyt. Weniger als Trost für Muhtar, sondern
zur Bekräftigung des nun einmal ins Auge Gefassten sagte er noch: »Und die
beiden sollen doch glücklich werden, nicht wahr, glücklich sollen sie werden!«
    Während des darauffolgenden kurzen
Schweigens seufzte Ömers Tante tief auf.
    Dann sprach der Onkel an, was sonst
noch geregelt werden musste. »Wie Sie wissen, arbeitet unser Ömer beim Eisenbahnbau.
Darum haben die beiden beschlossen, die Verlobung zu Frühlingsanfang
stattfinden zu lassen, bevor die Bausaison wieder beginnt. Und ich glaube, Sie
möchten die Verlobung gerne in Istanbul abhalten.«
    »Nicht ich«, wehrte der Abgeordnete
müde ab. »Ihre verstorbene Mutter … Die konnte sich an Ankara so gar nicht
gewöhnen. Darum hat sie das im Testament so bestimmt.«
    »Wie Sie wünschen!« Cüneyt brummte
das vor sich hin, als mache ihm das weiß Gott welche Umstände. Er sprach dann
noch über das genaue Datum und diverse Details und verstummte schließlich.
    Wieder war es ganz still. Jeder hing
seinen Gedanken nach. »Sie denken jetzt alle an ihr eigenes Leben und ihre
eigenen Pläne«, sagte sich Ömer. »Sie genießen diese seltene Muße und benützen
uns für ihre eigenen Reflexionen!« Ömer empfand es als unerträglich, dass jeder
in seinen Plänen und Erinnerungen grub und dabei Nazi’ und ihn als
Vergleichsobjekt heranzog. »Die sind so in sich versunken, dass ihnen nicht
einmal in den Sinn kommt, endlich dieses peinliche Schweigen zu beenden!«
dachte Ömer wütend.
    »Sie wirken aber sehr berührt, ja
beinahe traurig«, sagte die Tante zu Muhtar. Voller Neugier und fast etwas
beleidigt sah sie ihn an.
    Muhtar ging nur allzugerne auf diese
Anteilnahme ein. »Tja, was soll ich sagen?« sagte er kläglich. »Ich habe es
natürlich erwartet, und trotzdem kommt es mir seltsam vor. Was soll ich sagen?
Vielleicht habe ich es nicht so erwartet.« Er sah zu Ömer. »Ich habe den Jungen
ja schon in mein Herz geschlossen. Und dennoch bin ich betroffen.«
    »So geht es heutzutage eben zu!«
dozierte Cüneyt. »Unser Land verändert sich. Die jungen Leute machen das heute
unter sich selber aus. Und ist ja auch besser so, oder?«
    Muhtar sah Ömer an. Der dachte:
»Jetzt werden sie mich alle mustern!« Selbst der nur zufällig anwesende Refet
sah ihn aufmerksam an. »Was denken sie nur über mich? Wie finden sie mich?« Am
liebsten wäre er schnurstracks aus dem Zimmer gegangen.
    Muhtar wendete den Blick von ihm ab
und murmelte: »Jaja, man muss mit seiner Zeit gehen!« Als sei ihm eine schöne
Erinnerung

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