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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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ich«,
klärte Muhtar auf, obwohl er sehr wohl bemerkt hatte, dass Macide ihren Fehler
schon eingesehen hatte. Doch nahm er einer entfernten Verwandten so ein kleines
Versehen nicht übel.
    Ömers Tante war ganz rot geworden.
»Hätte ich mir natürlich denken können!« rief sie aus. Dann kam ihr aber doch,
dass sie dem, was sie sich hätte denken können, nun doch ein wenig zuviel
Bedeutung zugemessen hatte, und darüber wurde sie noch röter und brach in ein
verlegenes Lachen aus.
    Ömer war froh, dass sein zukünftiger
Schwiegervater sogleich mitlachte, und Macide in ihrer Erleichterung lachte nun
erst recht. Schließlich fiel auch Ömers Onkel ein, und als der Diener den
Kaffee brachte, hatte Ömer sehr den Eindruck, dass die Aufregung, die einen zu
einem ganz anderen Menschen werden lässt, sich allmählich legte. Der
Abgeordnete bot zum Kaffee Zigaretten an, überging dabei aber geflissentlich
Ömer. Der wiederum sah zufrieden, dass sein Onkel eine Zigarette annahm und
nicht auf seiner Pfeife bestand, was vielleicht Befremden ausgelöst hätte.
    Alles entspannte sich nach und nach.
Bald würde gesagt werden, was in solchen Fällen gesagt werden musste, aber
davor war es angebracht, noch etwas mehr Stimmung aufkommen zu lassen. Dazu
eignete sich das Aufwärmen von Familiengeschichten, und so schnitt Macide
dieses Thema auch gleich an.
    Sie erinnerte daran, dass Nazlis
Mutter und sie ja gewissermaßen Geschwister waren. Was sie tunlichst
verschwieg, war, dass sie nur den Vater gemeinsam gehabt hatten, nicht aber die
Mutter, und dass sie sich wegen eines alten Erbstreits jahrelang in den Haaren
gelegen hatten. Das war ja auch der Grund dafür, dass sie Muhtar erst jetzt
kennenlernte. So ging also die Tante in ihrer gemächlichen Art auf sämtliche
Familiengeschichten ein, die sich für eine Erwähnung in diesem Rahmen eigneten.
Auch Ömer hielt den Plausch über die Verwandtschaft für um so ergiebiger, je
entfernter jene war. Namen, Krankheiten, Geburts- und Sterbedaten, Freud und
Leid wurden durchgegangen, und dazu trank man Kaffee. »Eines Tages werde ich
genauso sein!« dachte Ömer. »Werde beim Kaffee sitzen und über Verwandte reden.
Und hatte doch so viel Leidenschaft in mir! Die Ehe wird mich hemmen. An der
Baustelle habe ich ja schon die ersten Dämpfer bekommen. Also bin ich schon
bereit für so etwas …« Er horchte in sich hinein, fand aber nicht viel Kraft,
um sich dem Gang der Dinge entgegenzustemmen. »Dann werde ich also eines gar
nicht mehr so fernen Tages in Pantoffeln dasitzen und neben meiner strickenden
Frau … Meiner Frau?« Verwundert sah er Nazli an. Dieses Mädchen, das ihm da
gegenübersaß und darum bemüht war, unter den Blicken ihres zukünftigen Gatten
und dessen Tante ruhig zu bleiben und möglichst nicht zu erröten. »Nun ja,
doch, meiner Frau eben!«
    Unterdessen erzählte Cüneyt aus
seinem Leben, von seiner Kaufmannskarriere. In etwas vorwurfsvollem Ton
erklärte er schließlich, das Handelswesen sei ziemlich ins Stocken geraten und
überhaupt alles viel mehr Regelungen unterworfen als früher. Daraufhin fühlte
Muhtar sich aufgerufen, seinerseits seine Laufbahn zu skizzieren. Er zählte die
Beamtenstellen auf, die er innegehabt hatte, die Landrats- und
Gouverneursposten. Seit acht Jahren sei er nun in der Politik. Die Flaute des
Handels oder genauer gesagt der Ein- und Ausfuhren liege in der Natur der
Sache, und für die Entwicklung des Landes sei noch so manches Opfer zu bringen.
Doch sehe die Lage schon um einiges rosiger aus als noch vor sechs, sieben
Jahren. Das brachte Muhtar alles in so besänftigendem Ton vor, dass auch
Cüneyt, der eher der Form halber geklagt hatte, schließlich zustimmend zu
nicken begann. So stellte sich um den Kachelofen herum eine immer herzlichere
Atmosphäre ein. Ömers Tante und Nazli kamen miteinander ins Gespräch.
Wohlwollend lächelnd stellte die Tante alle möglichen Fragen: Wo Nazli denn zur
Schule gegangen sei, was sie dort für Fremdsprachen gelernt habe, wie sie zu
diesem hübschen Kleid gekommen sei?
    Und doch ließ sich nicht vermeiden,
dass irgendwann wieder ein Schweigen aufkam, weil jeder insgeheim auf bestimmte
Worte und Handlungen wartete. Jenes Schweigen war unterschwellig die ganze Zeit
vorhanden dagewesen; nun trat es nur offen zutage. Man hörte nur noch das
Ticken der Wanduhr, und jeder dachte: »Jetzt muss Cüneyt das Wort ergreifen und
sagen, was zu sagen ist! Gleich ist es soweit!«
    »Nun, Sie wissen, wozu wir

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