Chalions Fluch
angeblicher Fälle von Todeszauber tätig zu sein.« Cazaril verschluckte sich, doch Umegat fuhr gelassen fort: »Oder von Todeswundern, um es theologisch präziser zu formulieren. Wir haben eine ganze Reihe geschickter Täuschungen aufgedeckt – üblicherweise Gift, obwohl die weniger hellen Mörder sich mitunter blutigerer Methoden bedienten. Ich musste ihnen erst einmal erklären, dass der Bastard niemals einen reulosen Sünder mit einem Messer zu Tode bringt, oder mit einem Vorschlaghammer. Die echten Wunder waren seltener, als ihre Bekanntheit vermuten ließe. Aber mir kam nicht ein einziger Fall unter, in dem das Opfer unschuldig war. Um es noch genauer auszudrücken: Was der Bastard gewährte, waren Wunder der Gerechtigkeit.« Seine Stimme war schärfer geworden, entschiedener. Alle Unterwürfigkeit war zusammen mit einem Großteil seines weichen Roknari-Akzents daraus verschwunden.
Cazaril nahm einen weiteren Schluck Wein. Hier sitzt der geistreichste Mann, der mir in ganz Cardegoss jemals begegnet ist, und ich habe ihn in den letzten drei Monaten schlichtweg übersehen, weil er die Gewänder eines Dienstboten trägt.
Allerdings legte Umegat offensichtlich keinen beson deren Wert darauf, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Euer Wappenrock ist ebenso gut wie eine Tarnkappe, wisst Ihr das?«, sagte Cazaril.
Umegat lächelte und nahm einen Schluck Wein. »Ja.«
»Also seid Ihr Ermittler?«
War jetzt alles vorüber? Würde er angeklagt, verurteilt und hingerichtet für seinen mordlüsternen, wenn auch vergeblichen Anschlag auf Dondo?
»Nicht mehr.«
»Was seid Ihr dann?«
Zu Cazarils Verwirrung zeigten sich Lachfältchen um Umegats Augen. »Ich bin ein Heiliger.«
Cazaril starrte ihn lange an. Dann leerte er seinen Becher, den Umegat gleich wieder füllte. Cazaril war fassungslos, aber irgendwie glaubte er nicht daran, dass Umegat verrückt war oder log.
»Ein Heiliger des Bastards.«
Umegat nickte.
»Das ist eine ungewöhnliche Beschäftigung für einen Roknari. Wie kommt Ihr dazu?« Es war eine dumme Frage, aber die zwei Becher Wein auf nüchternen Magen stiegen Cazaril zu Kopf.
Umegat lächelte traurig und in sich gekehrt. »Weil Ihr es seid – die Wahrheit. Ich nehme an, die Namen sind nicht länger von Bedeutung. Es liegt eine Lebensspanne zurück. Als ich noch ein junger Edelmann auf den Inseln der Roknari war, habe ich mich verliebt.«
»Das geht jedem so, überall auf der Welt.«
»Mein Liebster war damals um die dreißig. Es war ein Mann mit scharfem Verstand und freundlichem Herzen.«
»Oh. Nicht auf den Inseln, da geschieht so etwas nicht.«
»Allerdings. Ich hatte mit Religion nicht viel im Sinn. Er war insgeheim Quintarier, aus offensichtlichen Gründen. Wir schmiedeten Pläne für eine gemeinsame Flucht. Ich erreichte das Schiff nach Brajar. Er nicht. Die Reise verbrachte ich seekrank und verzweifelt, und ich lernte zu beten – glaubte ich. Ich hoffte, er hätte es auf ein anderes Schiff geschafft, und wir würden uns wiedersehen in der Hafenstadt, die wir uns als Ziel gewählt hatten. Erst mehr als ein Jahr später erfuhr ich, wie er geendet war. Ein roknarischen Kaufmann, der dort Handel trieb und den wir beide gekannt hatten, erzählte es mir.«
Cazaril trank. »Das Übliche?«
»O ja. Die Geschlechtsteile, die Daumen, damit er die fünfte Gottheit nicht bezeichnen konnte …« U megat berührte sich an der Stirn, am Nabel, an den Lenden und am Herz. Dabei legte er den Daumen unter die Handfläche, wie es der Sitte des vierfältigen Glaubens entsprach, und verleugnete den fünften Finger, der dem Bastard geweiht war. »Seine Zunge nahmen sie erst zum Schluss, weil sie immer noch hofften, dass er andere verriet. Er tat er nicht. Er starb als Märtyrer.«
Cazaril berührte die Stirn, die Lippen, den Nabel, die Lenden und das Herz, mit weit gespreizten Fingern. »Das tut mir Leid.«
Umegat nickte. »Ich habe lange darüber nachgedacht … immer dann, wenn ich nicht betrunken war oder mich übergeben habe oder irgendwelche Torheiten beging. Ich habe es mir nicht leicht gemacht, aber dann, eines Tages, ging ich zum Tempel und bewarb mich.« Er holte Luft. »Und die Kirche des Bastards hat mich aufgenommen. Sie gaben mir, dem Heimatlosen, eine Heimat, dem Einsamen Freunde, dem Verachteten Ehre. Und sie gaben mir Arbeit. Ich war … verzaubert.«
Ein Tempelgeistlicher. Doch Cazaril spürte, dass Umegat eine längere Zeitspanne ausließ – etwa vierzig Jahre, insgesamt. Aber
Weitere Kostenlose Bücher