Chalions Fluch
es war nichts Unerklärliches daran, dass ein kluger, energiegeladener und hingebungsvoller Mann in der Hierarchie der Kirche zu einem solchen Rang aufstieg. Es war die Sache mit dem Glanz, wie ein Vollmond bei Schneefall, die Cazaril benommen machte. »Gut. Wunderbar. Gute Arbeit. Findelhäuser und … äh, Ermittlungen. Und jetzt erklärt mir noch, warum Ihr im Dunkeln leuchtet.« Entweder hatte er zu viel getrunken, sagte er sich mürrisch, oder nicht genug.
Umegat rieb sich den Nacken und zupfte leicht an seinem Zopf. »Versteht Ihr, was es bedeutet, ein Heiliger zu sein?«
Cazaril räusperte sich unbehaglich. »Ihr müsst ü beraus tugendhaft sein.«
»Nein, das nicht. Man muss nicht gut sein. Nicht einmal freundlich.« Umegat verzog das Gesicht. »Glaubt mir, wenn man das erlebt … was man erlebt, ändert man seine Einstellung. Jedes weltliche Streben erscheint einem müßig. Gier, Stolz, Eitelkeit, Zorn werden zu fade, um sich noch damit abzugeben.«
»Und die Lust?«
Umegats Gesicht hellte sich auf. »Die Lust bleibt weitgehend unbeeinflusst, wie ich glücklicherweise feststellen kann. Vielleicht sollte ich eher sagen, Liebe. Denn die Grausamkeit und Selbstsucht, welche die Lust zu etwas Niederem machen können, verlieren an Bedeutung. Aber ich persönlich denke, es ist nicht so sehr ein Gewinn an Tugend, sondern der Austausch einstiger Laster durch die Abhängigkeit vom erwählten Gott.« Umegat leerte seinen Becher. »Die Götter lieben Männer und Frauen mit großen Seelen, so wie ein Künstler feinen Marmor schätzt. Aber es geht hier nicht um Tugend. Es geht um Willen. Denn der ist der Meißel und der Hammer. Hat man für Euch jemals Ordols klassische Predigt von den Tassen zitiert?«
»Ihr meint die, wo der Geistliche überall Wasser darüber schüttet? Die habe ich zum ersten Mal gehört, als ich zehn war. Ich fand es lustig, als seine Schuhe nass wurden, ansonsten aber war unser Tempelgeistlicher in Cazaril ein eher langweiliger Prediger.«
»Dann passt jetzt auf, und Ihr werdet Euch nicht langweilen.« Umegat drehte seinen Trinkbecher auf der Tischdecke um. »Der Wille der Menschen ist frei. Die Götter haben ebenso wenig Einfluss darauf, wie ich den Wein in dieses Gefäß durch den Boden einschenken kann.«
»Verschwendet den Wein nicht!«, protestierte Cazaril, als Umegat nach dem Krug griff. »Das hat man mir schon einmal gezeigt.«
Umegat grinste und hielt inne. »Aber habt Ihr auch wirklich verstanden, wie machtlos die Götter sind, wenn selbst der niederste Sklave sie aus seinem Herzen aussperren kann? Und wenn er sie aus seinem Herzen aussperren kann, dann auch aus der ganzen Welt, denn die Götter können hier nichts erreichen, außer durch die Seelen der Lebenden. Wenn nun aber die Götter nach Belieben von jedem Zugang erzwingen könnten, wären die Menschen nicht mehr als willenlose Puppen. Nur wenn sie die Willenskraft eines willigen Geschöpfes ausleihen – oder erhalten –, haben sie einen Gang, durch den sie in diese Welt können. Unter Mühen können sie mitunter auch durch den Geist von Tieren einsickern. Pflanzen … erfordern großen Weitblick. Oder …« Umegat stellte seinen Becher wieder hin. »Manchmal kann ein Mensch sich den Göttern öffnen und sie durch sich in die Welt lassen.« Er füllte seinen Becher. »Ein Heiliger ist keine tugendhafte Seele, sondern eine leere Seele. Er – oder sie – überlässt seinem Gott bereitwillig die Gabe seines Willens. Indem er selbst auf das Handeln verzichtet, macht er die Handlungen der Götter möglich.« Er hob das Gefäß an die Lippen, warf Cazaril über den Rand hinweg einen beunruhigenden Blick zu und trank. »Euer Geistlicher hätte damals kein Wasser verwenden sollen«, fügte er hinzu. »Damit gewinnt man nicht genug Aufmerksamkeit. Er hätte Wein nehmen sollen. Oder notfalls auch Blut. Irgendeine Flüssigkeit von Wert.«
»Ah …«, brachte Cazaril heraus.
Umegat lehnte sich zurück und musterte ihn eine Zeit lang, doch Cazaril nahm nicht an, dass der Roknari an seiner körperlichen Erscheinung interessiert war. Also, erzählt mir, was ein Abtrünniger-Roknari-Tempelgeistlicher-Gelehrten-Heiliger des Bastards als Tierpfleger verkleidet in der Menagerie des Zangres treibt?
Diese Frage stellte er dann auch, wenngleich in abgemildeter Form: »Was macht Ihr dann hier?«
Umegat zuckte die Achseln. »Was immer der Gott wünscht. Und Er wünscht sich, wie es scheint, dass König Orico am Leben bleibt.«
Cazaril
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